Lesejahr B: 2023/2024

1. Lesung (Dtn 5,12-15)

12Halte den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der HERR, dein Gott, geboten hat!

13Sechs Tage darfst du schaffen und all deine Arbeit tun. 14Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem HERRN, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du und dein Sohn und deine Tochter und dein Sklave und deine Sklavin und dein Rind und dein Esel und dein ganzes Vieh und dein Fremder in deinen Toren. Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du.

15Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten und dass dich der HERR, dein Gott, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat. Darum hat es dir der HERR, dein Gott, geboten, den Sabbat zu begehen.

Überblick

Der göttliche Ruhetag ist der siebte Tag der Woche, der Sabbat: An ihm ist man befreit zur Ruhe!

1. Verortung 

Das Alte Testament beginnt mit der Schöpfung der Welt in sieben Tagen. Die Zahl 7 steht im Hebräischen für die Fülle. Am ersten Tag schuf Gott die Zeit, in den darauffolgenden fünf Tagen entstand die Welt und am siebten Tag ruhte Gott und vollendete damit seine Schöpfung. Diese göttliche Ruhe wird durch das hebräische Verb שָׁבַת  (gesprochen: schabat) ausgedrückt. Es bedeutet sowohl "aufhören mit etwas" als auch "ruhen". Zwar wird in der Forschung eine Ableitung der Bezeichnung des Sabbattages von einem akkadischen Wort für den Vollmondtag in Babylonien angenommen (šapattu). Doch in den alttestamentlichen Texten entwickelte sich der Sabbat zum wöchentlichen Ruhetag, dessen Einhaltung in den Zehn Gebote gefordert wird: "Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!" (Ex 20,8), bzw. "Halte den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der HERR, dein Gott, geboten hat!" (Dtn 5,12).

Die Zehn Gebote sind gemäß dem Alten Testament der einzige Text den Gott selbst geschrieben hat; und doch ist er innerhalb des Alten Testaments in zwei verschiedenen Versionen, im Buch Exodus als von Gott geoffenbarter Text und im Buch Deuteronomium, als von Mose nacherzählter Text, überliefert; siehe Exodus 20,2-7 und Deuteronomium 5,6-21. In der katholischen Leseordnung wird der gesamte Text der Zehn Gebote gemäß der Version aus dem Buch Exodus im Lesejahr B am 3. Fastensonntag gelesen (siehe hier für eine vollständige Kommentierung). 

In der Version der Zehn Gebote im Buch Deuteronomium gibt es zwei grundlegende Unterschiede gegenüber der im Buch Exodus vorliegenden Fassung. Zum einen ist bereits der Anfang anders: "Halte den Sabbat" (Deuteronomium 5,12). Während im Buch Exodus das sich vergewissernde Erinnern des Schöpfungswerkes Gottes als Beweggrund für die Einhaltung des Sabbatgebotes geben wird („Gedenke des Sabbats“, Exodus 20,8), betont das im Buch Deuteronomium gewählte Wort die Beachtung und Einhaltung des Gebotes. So werden zwei verschiedene Dimensionen betont: Erstens die festgeschriebene Zeitstruktur, der Wochenablauf, als Teil der Schöpfungsordnung und zum zweiten der Tag selbst als vorgeschriebener Ruhetag, aufgrund der Geschichte Israels – womit wir beim zweiten Unterschied sind. In den beiden Versionen des Sabbatgebotes werden verschiedene Begründungen gegeben: „Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten und dass dich der HERR, dein Gott, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat. Darum hat es dir der HERR, dein Gott, geboten, den Sabbat zu begehen", heißt es in Deuteronomium 5,15. Israel soll den Sabbat als Erinnerung an die Rettung aus Ägypten feiern: Gott hat Israels aus der Existenz als Sklaven herausgeführt und dem Volk somit Ruhe in einem eigenen Land verschafft. Wenn nun die Israeliten, jeden in ihrem Land, sogar den Arbeitstieren, an einem Tag Ruhe gewähren, dann handelt das Volk wie Gott: Es ruht nicht nur selbst an diesem Tag, sondern verschaffte auch anderen diese Ruhe.

Das Sabbat-Gebot steht als drittes Gebot in den Zehn Geboten zwischen den auf Gott auf der einen und den auf die Mitmenschen ausgerichteten Geboten auf der anderen Seite und bildet sozusagen zwischen beiden Teilen eine Brücke. In der Version des Buches Deuteronomium ist diese Zentralstellung zudem durch Verbindungen zum Anfang und zum Ende der Zehn Gebote ersichtlich. Der Verweis auf den Exodus schlägt einen Bogen zurück zur Einleitung („Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus“, Vers 6); und die Nennung von Rind und Esel wird am Ende des Dekalogs nochmals wichtig („du sollst nicht das Haus deines Nächsten verlangen, nicht sein Feld, seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel, nichts, was deinem Nächsten gehört“, Vers 21).

 

2. Aufbau

Die Forderung zur Einhaltung des Schabbats wird in Deuteronomium 5 durch zwei Befehle gerahmt: (1.) Die Aufforderung den Schabbat zu halten („Halte ihn heilig“, Vers 12), und (2.) dies als Gedenken an die Befreiung aus der Versklavung in Ägypten zu tun („Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten…“, Vers 15). Der Aufforderung und Erklärung (Verse 12-14) folgt die heilsgeschichtliche Begründung (Vers 15).

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 12: Den siebten Tag der Woche zu heiligen, bedeutet ihn vom Alltag zu trennen, bzw. aus der Woche herauszuheben. In der Version der Zehn Gebote im Buch Exodus heiligt Gott den Sabbat, indem er an diesem Tag ruht: „Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der HERR den Sabbat gesegnet und ihn geheiligt“ (Exodus 20,11, siehe auch Genesis 2,3) – die Heiligkeit des Sabbats ist somit in der ihm eigenen Ruhe gelegen. 

Vers 13: Eine literargeschichtliche Vorstufe des Sabbatgebotes findet man in Exodus 23,12: „Sechs Tage kannst du deine Arbeit verrichten, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremde zu Atem kommen“; hier lag vermutlich noch eine individuelle Zählung der Arbeitstage zugrunde, die dann später in einen festen Wochenrythmus gewandelt wurde und so aus einem „siebten Tag“ der Sabbat wurde.

Vers 14: Da der Sabbat Gott geweiht ist und ihm somit gehört, steht er dem menschlichen Alltagsgeschehen kontrastreich gegenüber: „Wenn du am Sabbat deinen Fuß zurückhältst,  deine Geschäfte an meinem heiligen Tag zu machen, wenn du den Sabbat eine Wonne nennst, heilig für den HERRN, hochgeehrt, wenn du ihn ehrst, ohne Gänge zu machen  und ohne dich Geschäften zu widmen und viele Worte zu machen, dann wirst du am HERRN deine Wonne haben“ (Jesaja 58,13-14). Der Sabbat ist ein Grundrecht, das sowohl Arbeitskräften als auch Arbeitstieren zusteht und keine Standesunterschiede kennt. Es handelt sich dabei nicht um eine verhandelbare Vertragsvereinbarung zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber, sondern um einen gesellschaftlich festgelegten Lebensrhythmus, der Leben ermöglicht. Der vorgeschriebene Ruhetag schützt die arbeitenden Menschen und sogar die Arbeitstiere: Sie erhalten das Anrecht darauf, sich zu erholen, auszuruhen und zu Atem kommen zu dürfen.

Vers 15: Die Erinnerung an die Versklavung und Befreiung dient der Motivation zur eigenen Einhaltung des Sabbats und Gewährung der Ruhe auch für andere. Im Deuteronomium wird mehrfach die Einhaltung humanitarischer Gesetze durch einen Verweis auf den Exodus motiviert (siehe zum Beispiel Deuteronomium 15,15). Der Verweis soll Empathie erzeugen gegenüber Untergegeben.

Auslegung

In den Zehn Geboten steht nicht: "Du sollst den Feiertag heiligen!" – und die Sonntagsruhe ist auch kein biblisches Gebot. Für Christen ist der erste Tag der Woche der wöchentliche Feiertag. An ihm entdeckten die Frauen das leere Grab: "Nach dem Sabbat, beim Anbruch des ersten Tages der Woche, kamen Maria aus Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen." (Mt 28,1). Der erste Tag der Woche entwickelte sich zum Tag des Brotbrechens und zum Gedenken an die Auferstehung Jesu Christi. Der Sonntag ist ein Werktag, an dem die Schöpfung der Welt (neu) beginnt. Der im Alten Testament gesetzlich vorgeschriebene Ruhetag ist der zu heiligende am Freitagabend beginnende und bis Samstagabend gehende Sabbat, der siebte Tag. 

Es dauert ein Jahr bis die Erde die Sonne umkreist. Einen Monat ist die Zeitspanne, die der Monat braucht, um die Erde zu umrunden. Und die Woche hat sieben Tage, weil es so in der Bibel steht. Die Zehn Gebote – der wichtigste alttestamentliche Gesetzestext – schreibt dem Volk Israel vor, dass es sechs Tage arbeiten, aber am siebten Tag ruhen soll. Weltweit halten sich Juden und Gläubige anderer Religionen an diesen biblischen 7-Tage-Lebensrythmus – der wöchentliche Ruhetag ist ein alttestamentliches Proprium.

Der alttestamentliche Lebensrhythmus stellte für die Israeliten eine deutliche Abgrenzung zur altorientalischen Umwelt dar. Zur Zeit Jesu war der Sabbat-Tag dem Studium der Heiligen Schriften gewidmet (vgl. Apostelgeschichte 15,1). Und auch heute noch ist der Sabbat ein Identitätsmerkmal des Judentums. Gemäß der Fassung der Zehn Gebote im Buch Deuteronomium ist der Sabbat ein Tag „für JHWH“ (Deuteronomium 5,13), der soziale Konsequenzen hat. Der Israelit soll Gottes Herrschaft über die menschlichen Ressourcen anerkennen. Die religiöse Forderung nach Ruhe bedeutet Erholung nicht nur für die Mächtigen, sondern für jeden Menschen und für jedes Tier, die im Dienst eines Israeliten stehen. Diese vorgeschriebene Begrenzung der Macht des Menschen erinnert an die Freiheit, die Gott seinem Volk durch die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten geschenkt hat. Die Israeliten, die Sklaven waren, dienen ihrem neuen Herrn, JHWH, indem sie der Welt nach Gottes willen Erholung und Ruhe schenken. Das Sabbatgebot ist nicht nur ein Sozialgesetz, sondern es ist ein Bekenntnis zu Gott für das es weder einen Priester noch eines Altars bedarf.

Zum christlichen Perspektiven auf das Sabbat-Gebot siehe den Text „Ruhe! Oder: Über die Bedeutung des arbeitsfreien Sonntags“.

Kunst etc.

Die vielleicht berühmteste Darstellung der Zehn Gebote stammt vom Lucas Cranach dem Älteren (1472-1553). Auf der Wittenberger Tafel, die er 1516 fertigstellte, schuf er originelle und gleichermaßen anschauliche bildliche Umsetzungen der Gebote. In der Darstellung des Schabbat-Gebotes kontrastiert er den Gottesdienst im Vordergrund mit der Feldarbeit im Hintergrund. Im Vordergrund beten die Menschen und Engel – man sieht auf dem Altar auch die Tafeln der Zehn Gebote. Im Hintergrund arbeitet ein Mann auf dem Feld und wird dabei von einer dämonischen Gestalt auf seiner Schulter geleitet.

Auschnitt aus „Zehn Gebote“ von Lucas Cranach d.Ä., 1516, Werkverzeichnis-Nr.: CC-CMD-005-001. Wittenberg, Lutherhaus, Inv. Nr. G25.
Auschnitt aus „Zehn Gebote“ von Lucas Cranach d.Ä., 1516, Werkverzeichnis-Nr.: CC-CMD-005-001. Wittenberg, Lutherhaus, Inv. Nr. G25.