Der göttliche Ruhetag ist der siebte Tag der Woche, der Sabbat: An ihm ist man befreit zur Ruhe!
1. Verortung
Das Alte Testament beginnt mit der Schöpfung der Welt in sieben Tagen. Die Zahl 7 steht im Hebräischen für die Fülle. Am ersten Tag schuf Gott die Zeit, in den darauffolgenden fünf Tagen entstand die Welt und am siebten Tag ruhte Gott und vollendete damit seine Schöpfung. Diese göttliche Ruhe wird durch das hebräische Verb שָׁבַת (gesprochen: schabat) ausgedrückt. Es bedeutet sowohl "aufhören mit etwas" als auch "ruhen". Zwar wird in der Forschung eine Ableitung der Bezeichnung des Sabbattages von einem akkadischen Wort für den Vollmondtag in Babylonien angenommen (šapattu). Doch in den alttestamentlichen Texten entwickelte sich der Sabbat zum wöchentlichen Ruhetag, dessen Einhaltung in den Zehn Gebote gefordert wird: "Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!" (Ex 20,8), bzw. "Halte den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der HERR, dein Gott, geboten hat!" (Dtn 5,12).
Die Zehn Gebote sind gemäß dem Alten Testament der einzige Text den Gott selbst geschrieben hat; und doch ist er innerhalb des Alten Testaments in zwei verschiedenen Versionen, im Buch Exodus als von Gott geoffenbarter Text und im Buch Deuteronomium, als von Mose nacherzählter Text, überliefert; siehe Exodus 20,2-7 und Deuteronomium 5,6-21. In der katholischen Leseordnung wird der gesamte Text der Zehn Gebote gemäß der Version aus dem Buch Exodus im Lesejahr B am 3. Fastensonntag gelesen (siehe hier für eine vollständige Kommentierung).
In der Version der Zehn Gebote im Buch Deuteronomium gibt es zwei grundlegende Unterschiede gegenüber der im Buch Exodus vorliegenden Fassung. Zum einen ist bereits der Anfang anders: "Halte den Sabbat" (Deuteronomium 5,12). Während im Buch Exodus das sich vergewissernde Erinnern des Schöpfungswerkes Gottes als Beweggrund für die Einhaltung des Sabbatgebotes geben wird („Gedenke des Sabbats“, Exodus 20,8), betont das im Buch Deuteronomium gewählte Wort die Beachtung und Einhaltung des Gebotes. So werden zwei verschiedene Dimensionen betont: Erstens die festgeschriebene Zeitstruktur, der Wochenablauf, als Teil der Schöpfungsordnung und zum zweiten der Tag selbst als vorgeschriebener Ruhetag, aufgrund der Geschichte Israels – womit wir beim zweiten Unterschied sind. In den beiden Versionen des Sabbatgebotes werden verschiedene Begründungen gegeben: „Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten und dass dich der HERR, dein Gott, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat. Darum hat es dir der HERR, dein Gott, geboten, den Sabbat zu begehen", heißt es in Deuteronomium 5,15. Israel soll den Sabbat als Erinnerung an die Rettung aus Ägypten feiern: Gott hat Israels aus der Existenz als Sklaven herausgeführt und dem Volk somit Ruhe in einem eigenen Land verschafft. Wenn nun die Israeliten, jeden in ihrem Land, sogar den Arbeitstieren, an einem Tag Ruhe gewähren, dann handelt das Volk wie Gott: Es ruht nicht nur selbst an diesem Tag, sondern verschaffte auch anderen diese Ruhe.
Das Sabbat-Gebot steht als drittes Gebot in den Zehn Geboten zwischen den auf Gott auf der einen und den auf die Mitmenschen ausgerichteten Geboten auf der anderen Seite und bildet sozusagen zwischen beiden Teilen eine Brücke. In der Version des Buches Deuteronomium ist diese Zentralstellung zudem durch Verbindungen zum Anfang und zum Ende der Zehn Gebote ersichtlich. Der Verweis auf den Exodus schlägt einen Bogen zurück zur Einleitung („Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus“, Vers 6); und die Nennung von Rind und Esel wird am Ende des Dekalogs nochmals wichtig („du sollst nicht das Haus deines Nächsten verlangen, nicht sein Feld, seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel, nichts, was deinem Nächsten gehört“, Vers 21).
2. Aufbau
Die Forderung zur Einhaltung des Schabbats wird in Deuteronomium 5 durch zwei Befehle gerahmt: (1.) Die Aufforderung den Schabbat zu halten („Halte ihn heilig“, Vers 12), und (2.) dies als Gedenken an die Befreiung aus der Versklavung in Ägypten zu tun („Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten…“, Vers 15). Der Aufforderung und Erklärung (Verse 12-14) folgt die heilsgeschichtliche Begründung (Vers 15).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 12: Den siebten Tag der Woche zu heiligen, bedeutet ihn vom Alltag zu trennen, bzw. aus der Woche herauszuheben. In der Version der Zehn Gebote im Buch Exodus heiligt Gott den Sabbat, indem er an diesem Tag ruht: „Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der HERR den Sabbat gesegnet und ihn geheiligt“ (Exodus 20,11, siehe auch Genesis 2,3) – die Heiligkeit des Sabbats ist somit in der ihm eigenen Ruhe gelegen.
Vers 13: Eine literargeschichtliche Vorstufe des Sabbatgebotes findet man in Exodus 23,12: „Sechs Tage kannst du deine Arbeit verrichten, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremde zu Atem kommen“; hier lag vermutlich noch eine individuelle Zählung der Arbeitstage zugrunde, die dann später in einen festen Wochenrythmus gewandelt wurde und so aus einem „siebten Tag“ der Sabbat wurde.
Vers 14: Da der Sabbat Gott geweiht ist und ihm somit gehört, steht er dem menschlichen Alltagsgeschehen kontrastreich gegenüber: „Wenn du am Sabbat deinen Fuß zurückhältst, deine Geschäfte an meinem heiligen Tag zu machen, wenn du den Sabbat eine Wonne nennst, heilig für den HERRN, hochgeehrt, wenn du ihn ehrst, ohne Gänge zu machen und ohne dich Geschäften zu widmen und viele Worte zu machen, dann wirst du am HERRN deine Wonne haben“ (Jesaja 58,13-14). Der Sabbat ist ein Grundrecht, das sowohl Arbeitskräften als auch Arbeitstieren zusteht und keine Standesunterschiede kennt. Es handelt sich dabei nicht um eine verhandelbare Vertragsvereinbarung zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber, sondern um einen gesellschaftlich festgelegten Lebensrhythmus, der Leben ermöglicht. Der vorgeschriebene Ruhetag schützt die arbeitenden Menschen und sogar die Arbeitstiere: Sie erhalten das Anrecht darauf, sich zu erholen, auszuruhen und zu Atem kommen zu dürfen.
Vers 15: Die Erinnerung an die Versklavung und Befreiung dient der Motivation zur eigenen Einhaltung des Sabbats und Gewährung der Ruhe auch für andere. Im Deuteronomium wird mehrfach die Einhaltung humanitarischer Gesetze durch einen Verweis auf den Exodus motiviert (siehe zum Beispiel Deuteronomium 15,15). Der Verweis soll Empathie erzeugen gegenüber Untergegeben.