In den heutigen Zeiten, in denen es scheinbar keine Propheten mehr gibt, verheißt uns Mose im Buch Deuteronomium, dass ein Prophet wie er erstehen wird.
1. Verortung
Am Berg Sinai erschrak sich das Volk Israel vor seinem Gott, der sich ihnen offenbaren wollte und sie sprachen zu Mose: „Rede du mit uns, dann wollen wir hören! Gott soll nicht mit uns reden, sonst sterben wir.“ (Ex 20,19). Im Buch Deuteronomium, Moses Abschiedsrede kurz vor seinem Tod und kurz bevor das Volk ohne ihn in das verheißene Land einzieht, erinnert er dieses Geschehnis (siehe Deuteronomium 5,24-25.28) und verheißt dem Volk, dass Gott auch nach Moses Tod, einen „Vermittler“ zwischen Gott und dem Volk erstehen lassen wird. In Deuteronomium 16,18-18,22 erlässt er in Gottes Auftrag eine Reihe von Gesetzen zu den verschiedenen führenden Ämtern im Volk nach der Landnahme (Richter, Priester, König) – und dazu gehört auch das „Amt“ des Propheten. Die Prophetie im Namen anderer Götter wird als Apostasie verurteilt (Deuteronomium 17,2-7) und die Abkehr von Divinationspraktiken wird festgeschrieben (Deuteronomium 18,9-14). Der Prophet wird als Mund Gottes für das Volk eingesetzt.
2. Aufbau
Den Worten über die Einsetzung eines Propheten (Verse 15-16) folgt der Schriftverweis auf Dtn 5,28, der ausgedeutet wird, bzw. eine nacherzähltes Gotteswort berichtet wird (Vers 17-18). Abschließend wird erklärt, welche Folgen der Ungehorsam gegenüber dem Wort des Propheten hat (Vers 19), und der menschliche Missbrauch des Prophetenamtes wird sanktioniert (Vers 20).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 15: Wie auch der König (vgl. Deuteronomium 17,15) wird der Prophet aus dem Volk und nicht aus einem bestimmten Stand oder einer bestimmten Familie von Gott erwählt. Aber der Prophet wird, anders als der König, nicht vom Volk eingesetzt, sondern er symbolisiert als Mund Gottes die Freiheit Gottes. So wie das Volk auf Mose und das durch ihn geoffenbarte Gesetzt hören soll (siehe Deuteronomium 5,31), so soll das Volk auch auf den neuen Propheten hören, eben weil er Gottes Willen offenbart. Im hebräischen Text wird von einem Propheten im Singular gesprochen, der in der Zukunft von Gott erwählt werden wird. Allerdings wird ebenso im Königsgesetz von einem König im Singular gesprochen (vgl. Deuteronomium 17,14-20), womit jedoch dort alle Könige gemeint sind. Der hebräische Text gibt somit beide Rezeptionswege frei: Bezieht sich die Aussage auf einen spezifischen Propheten in der Zukunft oder die in der Geschichte Israels auftretenden Propheten wie Jesaja, Jeremia, Ezechiel etc.? Der zukünftige Prophet wird jedoch sozusagen in der mosaischen Tradition stehen. Was diese „Mosaizität“ bedeutet, erklärt Vers 18.
Verse 16-17: Die Nacherzählung bezieht sich auf Deuteronomium 5,23-27, wo Mose spricht: „Als ihr den Donner mitten aus der Finsternis gehört hattet und der Berg immer noch in Feuer stand, seid ihr zu mir gekommen - eure Stammeshäupter und Ältesten - und habt gesagt: Sieh, der HERR, unser Gott, hat uns seine Herrlichkeit und Macht gezeigt und wir haben seine donnernde Stimme mitten aus dem Feuer gehört. Heute haben wir gesehen, dass Gott zu Menschen sprach und sie am Leben blieben. Trotzdem: Warum sollen wir sterben? Denn dieses große Feuer könnte uns verzehren. Wenn wir noch einmal die donnernde Stimme des HERRN, unseres Gottes, hören, werden wir sterben. Denn welches Wesen aus Fleisch wäre am Leben geblieben, wenn es wie wir die donnernde Stimme des lebendigen Gottes gehört hätte, als er mitten aus dem Feuer redete? Geh du allein hin! Höre alles, was der HERR, unser Gott, sagt! Berichte uns dann alles, was der HERR, unser Gott, dir gesagt hat, und wir werden es hören und halten.“
Vers 18: Das hier erzählt Gotteswort ist eine Hinzufügung zu Deuteronomium 5,23-27. Dass ein Prophet wie Mose „erstehen“ wird, bedeutet das jemand mit der gleichen Gottunmittelbarkeit dem Volk Gottes Willen offenbaren wird. So wird durch das von Mose fixierte Gesetz Gottes in Zukunft durch das lebendige Wort Gottes ergänzt. Die Beschreibung des Propheten hat einen deutlichen Widerhall im Buch des Propheten Jeremia; vgl. „Aber der HERR erwiderte mir: Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden.“ (Jeremia 1,7) und „Darum - so spricht der HERR, der Gott der Heerscharen: Weil ihr dieses Wort sagt: Siehe, darum mache ich meine Worte in deinem Mund zu Feuersglut und dieses Volk da zum Brennholz, das von ihr verzehrt wird.“ (Jeremia 5,14).
Verse 19-20: Der Prophet wird wie Mose mit höchster Autorität ausgestattet. Wer das von ihm verkündete Wort Gottes, nicht befolgt, wird von Gott bestraft. Ein mit solcher Autorität ausgestattetes „Amt“ läuft Gefahr missbraucht zu werden. Daher wird Falschprophetie mit der Todesstrafe belegt. Doch die Frage, woran man einen falschen Propheten erkennt, ist schwierig: „Und wenn du denkst: Woran können wir ein Wort erkennen, das der HERR nicht gesprochen hat?, dann sollst du wissen: Wenn ein Prophet im Namen des HERRN verkündet und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, dann ist es ein Wort, das nicht der HERR gesprochen hat. Der Prophet hat sich nur angemaßt, es zu sprechen. Du sollst dich dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen.“ (Verse 21-22). Hierbei geht es anders als im Buch Deuteronomium und den darin enthaltenen Gesetzen als Willen Gottes um die Heils- und Unheilsprophetie.