In der damaligen Zeit erklingt erstmals ein radikal neuer und für das heutige Denken fast selbstverständlicher Gedanke: die Auferstehung der Toten und das endgültige Gericht.
1. Verortung im Buch
Die Hoffnung liegt im Zusammenbruch der menschlichen Macht. Dieser Pessimismus scheint in der sogenannten Apokalyptik ausgedrückt zu sein. Im Buch Daniel wird vorausgesagt, dass erst die größte Tragödie der Menschheit sich ereignen muss, bevor Israel gerettet wird. Sozusagen aus der Asche wird in der „Zeit der Bedrängnis“ sich das Volk wieder zu neuen Höhen erheben können.
In der großen Abschlussvision des Buches Daniel (10,1-12,13) wird die Endzeit, die der Prophet bevorstehen sieht, innerhalb des damaligen geschichtlichen Kontext beschrieben. Daniel wird unterrichtet über bevorstehende Kriege zwischen Persern und Griechen, über die das Reich Alexanders des Großen aufreibenden Kämpfe zwischen dem „König des Südens“ (d.h. den Ptolemäern) und dem König des Nordens (d.h. den Seleukiden) und das Eingreifen der „Schiffe aus Kittim“ (d.h. die Römer). In diesem geschichtlichen Kontext, der auch durch innerjüdische Konflikte und des Martyriums aufgrund von JHWH-Treue geprägt ist, wird das Gericht zwischen Frommen und Frevlern vollzogen werden (12,1-11).
Der Autor des Buches Daniel verfasste sein Werk vermutlich zwischen 168 und 164 v.Chr. Er beschreibt die Verfolgung und Unterdrückung der JHWH-Treuen des Judentums durch den seleukidischen Herrscher Antiochos IV. Epiphanes (gestorben 164 v.Chr.): „Er stellt Streitkräfte auf, die das Heiligtum auf der Burg entweihen, das tägliche Opfer abschaffen und den unheilvollen Gräuel aufstellen.“ (Daniel 11,31). Doch von der im Dezember 164 v.Chr. sich ereignenden Wiederherstellung und -einweihung des Tempels durch die Makkabäer weiß er nichts zu berichten.
2. Aufbau
Vers 1 ist geprägt durch die dreifache Wiederholung der Worte „in jener Zeit“, die das Geschrieben direkt auf die Vision in den vorherigen Versen (Daniel 11,40-45) bezieht. In Vers 2 erklingt das erstmals in der Geschichte der Bibel der Glaube an die Auferstehung von Toten und einem folgenden endgültigen Gericht über Leben und Tod. Vers 3 ist dann eine Verheißung.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Mit den Worten „in jener Zeit“ wird verdeutlicht, dass das endzeitliche Gericht nicht in ferner Zeit zu verorten ist, sondern in den zuvor in Daniel 11,40-45 vorausgesehenen geschichtlichen Ereignissen – dem Konflikt zwischen dem seleukidischen Herrscher Antiochos IV. Ephiphanes und dem ptolemäischen Herrscher Ptolemaios VI. Philometor (vgl. Daniel 11,40: „Zur Zeit des Endes streitet mit ihm [d.h. Antiochos] der König des Südens.“). Die Nennung des Engels Michael führt die Darstellung aus dem geschichtlichen Kontext nun jedoch hinaus auf eine andere Ebene. Michael wird als der „große Fürst“ bezeichnet – dahinter steht die Annahme, dass alle Völker im Himmel Repräsentanten bzw. Patronen haben; und Michael kämpft für Israel im Himmel gegen den Fürsten der Griechen (Daniel 10,21). Der Widerstand der JHWH-Treuen gegen die Unterdrückung ihrer Religion durch Antiochos IV. Epiphanes wird in himmlischen Dimensionen als Kampf zwischen dem Engel Michael und dem „Fürsten Jawans“ (d.h. dem Fürsten der Griechen) verstanden. Der in Daniel 11,45 angekündigte Tod des seleukidischen Herrschers wird als Sieg Michaels dargestellt. – Es ist, nebenbei erwähnt, untypisch das im Alten Testament Engel (das sind eigentlich Boten Gottes) Namen tragen.
Vers 2: Der vorherige Vers schließt mit der Verheißung, dass jeder in der Endzeit gerettet wird, der „im Buch verzeichnet ist“. Dieses Buch ist das „Buch des Lebens“, indem diejenigen Gerechten, die Gott zu seiner auserwählten Gemeinschaft rechnet, eingetragen sind (vgl. die Bitte in Psalm 69,28-29: „Rechne ihnen Schuld über Schuld an, damit sie nicht eingehen in dein Heil! Sie seien aus dem Buch des Lebens getilgt und nicht bei den Gerechten verzeichnet.“). Im damaligen geschichtlichen Kontext stellte sich virulent die Frage, was mit denjenigen geschehen wird, die für ihren Glauben den Tod hingenommen haben. Den Märtyrern wird eine ausgleichende Gerechtigkeit verheißen. Diejenigen, die sich im Leben als Gerechte erwiesen haben, wird das ewige Leben verheißen. Diese Verheißung hinterlässt beim Leser jedoch viele Fragen: Warum werden nur viele und nicht alle zum Gericht erwachen? Wer sind diejenigen, die erwachen? Die Vermutung liegt nahe, dass die Gerechten zum Ewigen Leben auferstehen und bei ihrem Beisein den Apostaten und Unterdrückern das Urteil des ewigen Todes mitgeteilt wird. Es geht jedoch nicht nur um die individuelle Auferstehung zum ewigen Leben, sondern das Fortbestehen Israels als Volk aus Gerechten wird verheißen.
Vers 3: Die Verständigen sind die Weisen, die in der Torah Gottes Schöpfungsordnung und seinen Willen erkannt und deren Einhaltung trotz aller Widerstände gelehrt haben (vgl. Daniel 11,33: „Die Verständigen im Volk bringen viele zur Einsicht; aber eine Zeit lang zwingt man sie nieder mit Feuer und Schwert, mit Haft und Plünderung“). Deutlich wird die Betonung nicht auf das Martyrium gelegt, sondern auf die Lehre, die in jener Zeit tödlich sein konnte. Sie, diese verständigen Lehrer, werden mit glänzenden Himmelkörpern, den Sternen, verglichen, die gemäß Ijob 38,7 Gott zujauchzen und mit den Gottesöhnen identifiziert werden. Vielleicht wird ihnen verheißen selbst zu Engeln zu werden. Ohne Zweifel deutet der Vergleich auf die ewige und himmlische Existenz hin.