Wilde Raserei. Wenn gemeinsamer Hass Menschen zusammenschweißt.
1. Verortung im Buch
Die Erzählung vom Wirken und Sterben des Stephanus beendet innerhalb der Apostelgeschichte den erzählerischen Abschnitt, der sich ganz der Situation der christlichen Gemeinde in Jerusalem widmet. Nach dem Tod des Stephanus weitet sich der Fokus auf die Entwicklung der Gemeinde in Judäa und Samaria.
Der Szene der Lesung voran geht die Vorstellung der Person des Stephanus und seines Wirkens beschrieben (Apostelgeschichte (Apg) 6,8-10) und die große Rede des Stephanus, in der er sich verteidigend die Geschichte Gottes mit den Menschen in der Geschichte Israels nachzeichnet (Apg 7,1-53)
2. Aufbau
Der Abschnitt ist aus drei kleinen Teilen zusammengesetzt, dabei rahmen die Worte des Stephanus (Verse 55-56 und 59-60) die Erzählung von seinem gewaltsamen Tod (Verse 57-58).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 55-56: Stephanus ist erfüllt vom Heiligen Geist und mit solcher Gabe ausgestattet wird ihm eine persönliche Vision zuteil. Er sieht die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten des Vaters und hat damit einen Ausblick auf die Wirklichkeit, die den Glaubenden verheißen ist. Gott in seiner Herrlichkeit zu sehen ist die Hoffnung derer, die im Glauben an Gott ihr irdisches Leben verbringen, die versuchen, Gott zu erkennen. Gleich zweimal wird dieser Einblick in die himmlische Welt geschildert, einmal davon in direkter Rede und damit als Mitteilung an die Umstehenden. Kurz vor seinem Tod gibt Stephanus auf diese Weise noch einmal ein Zeugnis seiner Hoffnung und seines Glaubens. In den Berichten über Martyrien ist dies ein oft geschildertes Zeichen der großen Glaubenskraft des Märtyrers.
Verse 57-58: Die Vision des Stephanus bringt die ohnehin schon aufgebrachte Menge zur Raserei. Das Geschrei und das Zuhalten der Ohren soll die vermeintliche Gotteslästerung des Stephanus übertönen. Um dem Verhalten des Stephanus ein endgültiges Ende zu bereiten, beschließt man kurzen Prozess zu machen und den Gotteslästerer zu töten. Die Steinigung eines Gotteslästerers muss außerhalb der Stadt erfolgen und die Zeugen der Lästerung beginnen mit der Steinigung (Deuteronomium 17,2-7). So werden auch hier Zeugen erwähnt, die ihre Kleider als Zeichen des Zeugnisses und evtl. aus pragmatischen Gründen für die Steinigung vor den Füßen eines jungen Mannes Namens Saulus ablegen. Er ist damit auch Zeuge für das Geschehen und dessen Rechtmäßigkeit. Saulus wird hier nahezu beiläufig in die Erzählung der Apostelgeschichte eingeführt, die er ab Kapitel 9 maßgeblich prägt.
Verse 59-60: Der Sterbende legt in der Weise seines Sterbens Zeugnis ab. Seine letzten Worte sind ähnlich den letzten Worten Jesu am Kreuz Gebet und Bitte für seine Verfolger (zum Vergleich Lukasevangelium 23,34). Mit diesem Gebet für die Verfolger wird deutlich, dass Stephanus wirklich etwas von Gottes Herrlichkeit gesehen hat bzw. von Gott verstanden hat. Denn er bleibt am Ende seines Lebens auch angesichts der gegen ihn angewendeten Gewalt beim Prinzip der Liebe, so wie Jesus selbst am Kreuz.