Lesejahr B: 2023/2024

1. Lesung (1 Kön 19,4-8)

4Er selbst ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte:

Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.

5Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.

Doch ein Engel rührte ihn an und sprach:

Steh auf und iss!

6Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin.

7Doch der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach:

Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich.

8Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.

Überblick

„Genug!“, schleudert der Prophet seinem Gott entgegen und will sterben; doch stattdessen wird er noch weiter in die Wüste geschickt.

 

1. Verortung 

Der Prophet Elija ist in 1 Könige 18 auf dem Höhepunkt seines Erfolgs: Beauftragt von Gott zeigt er die Machtlosigkeit der Propheten des Baal und der Propheten der Aschera auf. Er besiegt sie und beweist König Ahab und dem Volk Israel, dass allein JHWH ein mächtiger Gott ist. Doch auf den Höhepunkt des Erfolgs erfolgt Elijas persönlicher Tiefpunkt. Er ist in seiner Person zutiefst mit seinem Auftrag verbunden: Er ist der Prophet Gottes. Aber seine Macht ist durch Königin Isebel begrenzt; sie lässt sich von seinen Wundertaten nicht bekehren. Ihre Reaktion führt zum persönlichen Misserfolg Elijas. Als sie von seinen Taten hört, lässt sie ihm ausrichten: „Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich morgen um diese Zeit dein Leben nicht dem Leben eines jeden von ihnen [d.h. den getöteten Propheten des Baal und der Aschera] gleich mache.“ (1 Könige 19,2) Elijas Triumph endet in einem Todesurteil gegen ihn. Elija hatte für und mit Gott übermenschliches vollbracht, aber es genügte nicht die Königin zur Umkehr zu bewegen. Der Weg vom Himmelhoch-Jauchzend führt in die persönliche Isolation des Zum-Tode-Betrübt. 

Elija stellt sich nicht der Königin entgegen, er vertraut nicht auf Gottes Beistand, sondern er ergreift die Flucht. Er flieht aus dem Machtbereich Isebels in die Wüste, die gemäß dem Weltbild des Alten Testaments dem Totenreich vergleichbar ist. Elija wählt den selbstbestimmten Tod in der Wüste: „Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.“ (1 Könige 19,4) – an dieser Stelle setzt die Lesung des 19. Sonntag im Jahreskreis ein; und sie endet kurz bevor Gott sich seinem Prophet offenbart und ihm Zuflucht gewährt. 

Gott zeigt sich Elija nicht in einer großen Geste, sondern in einem „… sanften, leisen Säuseln“ (1 Könige 19,12b). Gott zeigt sich in einem Akt der Ruhe, den Elija benötigt. Zuvor erstehen vor Elija ein Sturm, ein Erdbeben und Feuer. Aber in keiner dieser gewalttätigen Erscheinungen begegnet ihm Gott. Es ist nicht das Beeindruckende und Bedrückende, in dem Elija seine Stärkung erfährt, sondern es ist das Leise. Die Stärke, mit der sich Gott im Handeln gegen die Propheten des Baal und der Aschera gezeigt hatte, indem das Feuer Gottes die Brandopfer verzehrt hatte (1 Könige 18,38), zeigt sich nun im Unscheinbaren. Das Schwache wird zum Bild Gottes. Diese Fürsorge ist der Ausgangspunkt für die Rückkehr Elijas in seine Tätigkeit als Prophet. Er wird ausgesandt nach Damaskus, um dort Hasaël zum König über Aram zu salben. Von dort soll er zurückkehren in seinen alten Wirkbereich und einen zweiten Auftrag ausführen: „Jehu, den Sohn Nimschis, sollst du zum König von Israel salben und Elischa, den Sohn Schafats aus Abel-Mehola, salbe zum Propheten an deiner Stelle. So wird es geschehen: Wer dem Schwert Hasaëls entrinnt, den wird Jehu töten. Und wer dem Schwert Jehus entrinnt, den wird Elischa töten.“ (1 Könige 19,16-17). Elija wird wieder zum Werkzeug Gottes, aber dem Einzelkämpfer stellt Gott einen zweiten Propheten, Elischa, zur Seite. Der Prophet ist in seiner Aufgabe nicht mehr allein, ihm wird eine Hilfe zur Seite gestellt.

 

2. Aufbau

Der Abschnitt über Elijas Flucht in die Wüste ist zweigeteilt durch die zweifache Erscheinung des Boten Gottes, der den Propheten auffordert zu essen und zu trinken (Verse 4-6 und 7-8). Durch das in Vers 4 von Elija verwendete hebräische Wort רַב (gesprochen: rav), das auch vom Engel Gottes in Vers 7 verwendet wird, zeigt sich der Wandel in der Erzählung vom Todeswunsch des Propheten zu seinem Aufbruch (siehe Erklärung zu Vers 7).

 

3. Erklärung einzelner Verse 

Vers 4: Die Wüste ist ein lebenswidriger Ort – doch in der alttestamentlichen Tradition hat die Wüste als Erzählmotiv eine besondere Funktion. Der Auszug aus Ägypten in das Verheißene Land ist untrennbar mit dem Durchzug durch die Wüste verbunden. Es ist der Ort der Läuterung des Volkes, an dem eine (neue) Beziehung zu Gott möglich wird (siehe auch Amos 5,25; Hosea 2,16-17; Jeremia 2,2-3.). So bietet die Wüste aus der Perspektive der Geschichte Israels auch eine Hoffnungsperspektive. Im Prophetenbuch Jesaja ist die Wüste das Sinnbild für die Rückkehr in das Verheißene Land (siehe Jesaja 40,1-11), denn Gott wird die Macht zugeschrieben selbst aus Wüsten blühende Landschaften zu machen (siehe Jesaja 41,19-20). Die Wüste ist somit der besondere Ort, an dem Gott fürsorglich und rettenden handelt – doch Elija bestimmt sich die Wüste als seinen Sterbensort. Er setzt sich unter einen Ginsterstrauch – der bis heute im Sinai und westlich des Toten Meeres heute noch zu finden ist – und wünscht sich von Gott den Tod. Das letzte Mal als der Prophet zu Gott gesprochen hatte, klangen seine Worte noch ganz anders: „Erhöre mich, HERR, erhöre mich! Dieses Volk soll erkennen, dass du, HERR, der wahre Gott bist …“ (1 Könige 18,37). Nun zeigt sich in den Worten des Propheten kein Tatendrang mehr, sondern der Wunsch, dass nicht nur seine Stimme verstimmt, sondern dass Gott seinem Leben ein Ende setzt; die Dramatik dieses Wunsches wird bei einer wörtlichen Übersetzung umso deutlicher: „Genug – jetzt, JHWH, nimm mein Leben!“ Das Brennen für eine Sache kann leicht zum Ausbrennen führen – dem Burnout, der früher als Elija-Müdigkeit bezeichnet wurde. Das Burnout-Syndrom ist im klassischen Sinne keine Krankheit, sondern ein Problem der Lebensbewältigung. Es handelt sich um eine körperliche, geistige und emotionale Erschöpfung, die durch eine Überbelastung entsteht. Der Stress trifft auf eine verminderte Belastbarkeit und kann nicht mehr bewältigt werden. Das blühende Leben wird zur trostlosen Wüste. Man bricht unter der Last zusammen und resigniert wie der Prophet Elija. Die für seinen Todeswunsch gegebene Begründung kann auf zweierlei Weise verstanden werden: (1.) Entweder sind diese Worte auf die vorherige Auseinandersetzung mit den Baal-Propheten zu beziehen: Elija hat sie zwar besiegt, aber dies hat – wie sooft in der Geschichte Israel – nicht zur Abkehr des Volkes vom Fremdgötterkult geführt. (2.) Oder Elija stellt sich in der Wüste auf eine Stufe mit der Generation der Israeliten, die nach dem Auszug aus Ägypten gegen Gott gemurrt, sich seinem Willen entgegengestellt und schließlich in der Wüste gestorben ist, bevor das Volk ins Verheißene Land einziehen konnte.

Vers 5: Der Engel ist wörtlich eigentlich ein Bote (‎מַלְאָךְ, gesprochen: malach) - durch diese Bezeichnung wird ein Kontrast zur vorherigen Erzählung hergestellt. Der Grund, warum Elija nun in die Wüste geflüchtet war, wurde ihm von einem Boten der Königin überbracht: „Sie schickte einen Boten zu Elija und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich morgen um diese Zeit dein Leben nicht dem Leben eines jeden von ihnen gleichmache.“ (Vers 2). Erst in Vers 7 wird der Bote als „Bote JHWHs“ definiert.

Vers 6: Die Versorgung Elijahs mit Nahrung verweist zurück auf die Erzählung in 1 Könige 17,1-6 (siehe Verse 5-6: „Elija ging weg und tat, was der HERR befohlen hatte; er begab sich zum Bach Kerit östlich des Jordan und ließ sich dort nieder. Die Raben brachten ihm Brot und Fleisch am Morgen und ebenso Brot und Fleisch am Abend und er trank aus dem Bach.“). Und die Versorgung verweist den Leser zudem durch den Kontext der Wüste zurück in die Erzählung der Wüstenwanderung Israels nach dem Auszug aus Ägypten und der Versorgung mit Manna (siehe Exodus 16-17).

Vers 7: Der „Bote“ aus Vers 5 wird nun, bei seinem erneuten Erscheinen, als Engel Gottes ausgewiesen. Die Aufforderung, zu essen und zu trinken, wird nun auch begründet: „Sonst ist der Weg zu weit für dich.“ – in diesen Worten verbirgt sich ein bewusstes Wortspiel im hebräischen Text, denn das Wort רַב, gesprochen: rav), das in Vers 4 mit „genug“ übersetzt wurde, wird nun mit „zu weit“ wiedergegeben. Der Weg Elijas in die Wüste ist somit nicht sein Todesgang, sondern er wird gestärkt für den weiteren Weg, den er zu gehen hat.

Vers 8: Das Motiv der 40 Tage und 40 Nächte, die der Prophet nach dem Essen und Trinken durch die Wüste wandert, erinnert an die 40 Tage und 40 Nächte, die Mose ohne Nahrung bei Gott auf dem Berg Sinai verbrachte (siehe Exodus 24,18 und 34,28). Der Berg Horeb ist die im Buch Deuteronomium verwendete Bezeichnung für den Berg Sinai. Es handelt sich um den Ort, an dem Gott Israel in der Wüste nach dem Auszug aus Ägypten erschienen ist und zuvor bereits in Exodus 3 Gott dem Mose erschienen war und ihn berufen hatte. Der Name „Horeb“ bedeutet übersetzt „Einöde“.

Auslegung

Elija ist ein Prophet, das heißt im biblischen Sinne, dass seine Person völlig in seiner Aufgabe aufgeht. Hierbei stoßen seine Kräfte an die Grenzen der eigenen Kompetenz und der Misserfolg wird zur Krise, die in die Isolierung führt. Er zerbricht auch an dem Bild, das er von sich selbst hat. In dieser Situation äußert Elija den Todeswunsch. Er hat sich aufgegeben und er selbst kann sich nicht mehr helfen. 

Gott verurteilt Elija weder für seine Flucht noch für seinen Todeswunsch – er erhört aber auch nicht seine Bitte. Kurz nachdem Elija eingeschlafen ist, wird er aus seiner Ruhe aufgeweckt. Es erfolgt keine Maßregelung, sondern ein positiver und fürsorgender Befehl: „Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss!“ (1 Könige 19,5b). Der Engel stärkt Elija mit Brot und Wasser, damit er nach den Geschehnissen wieder zu Kräften kommt – und dann, wenn Elija wieder ruhen will, erscheint der Engel erneut: „Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich.“ (1 Könige 19,7b). In den Worten des Engels wird der von Elija zuvor mit dem Todeswunsch definierte Endpunkt zu einer Wegmarke umgedeutet. Im Hebräischen Text zeigt sich dies sehr deutlich in einer Wortaufnahme. Das finale „Genug!“ ist im Hebräischen dasselbe Wort, das in den Worten des Engels die große Distanz des vor Elija liegenden Weges bezeichnet (רב, gesprochen: rav). Elijas Tiefpunkt ist also kein Endpunkt. Die Fürsorge des Engels zeigt einen Weg auf. Dabei handelt es sich nicht um einen neuen Arbeitsauftrag, sondern der Engel schickt Elija noch weiter in die Wüste, hin zum Gottesberg Horeb. Am Gottesberg angekommen steht der gescheiterte Arbeitnehmer vor seinem Arbeitgeber. Der Einzelkämpfer Elija steht dann vor dem Grund seines Eifers.

Kunst etc.

Der französische Maler Louis Jean-Jacques Durameau zeigt einen muskulösen, ja kräftigen Propheten Elija, der vor Erschöpfung eingeschlafen ist. Der Stab gleitet ihm aus der Hand. Ein kleines Detail unterstreicht die Bedeutung des himmlischen Eingreifens. Der Engel aus dem Himmel schwebt auf einer Wolke, die zugleich bereits unter dem Prophetenmantel ist, auf den sich der schlafende Elija abstützt.

Louis Jean-Jacques Durameau (1733-1797), Elie et l'Ange, im Besitz von Besançon Musée des Beaux Arts.
Louis Jean-Jacques Durameau (1733-1797), Elie et l'Ange, im Besitz von Besançon Musée des Beaux Arts.