Lesejahr A: 2022/2023

1. Lesung (Joel 2,12-18)

12 Auch jetzt noch - Spruch des HERRN:

Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen. 13 Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum HERRN, eurem Gott!

Denn er ist gnädig und barmherzig,  langmütig und reich an Güte, und es reut ihn, dass er das Unheil verhängt hat.

14 Vielleicht kehrt er um, und es reut ihn,  und er lässt Segen zurück, so dass ihr Speise- und Trankopfer darbringen könnt für den HERRN, euren Gott.

 

15 Auf dem Zion stoßt in das Horn, ordnet ein heiliges Fasten an, ruft einen Gottesdienst aus! 16 Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde! Versammelt die Alten, holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge! Der Bräutigam verlasse seine Kammer und die Braut ihr Gemach. 17 Zwischen Vorhalle und Altar sollen die Priester klagen, die Diener des HERRN sollen sprechen:

Hab Mitleid, HERR, mit deinem Volk, und überlass dein Erbe nicht der Schande, damit die Völker nicht über uns spotten. Warum soll man bei den Völkern sagen:

Wo ist denn ihr Gott?

18 Da erwachte im HERRN die Leidenschaft für sein Land, und er hatte Erbarmen mit seinem Volk.

Überblick

Vielleicht gibt es Hoffnung im Angesicht des Zorns Gottes – aber nur, wenn die Umkehr kein leerer Ritualismus sind.

 

1. Verortung im Buch

Das Buch Joel ist zweigeteilt: Auf den prophetischen Aufruf zur Klage (Joel 1-2), folgt die antwortende Erhörung Gottes (Joel 3-4). Der Wendepunkt liegt in Gottes Leidenschaft für sein Land und in seinem Erbarmen für sein Volk (Joel 2,18). Im ersten Teil steigert sich jedoch erstmal die Not bis ins unermessliche. Auf eine alles verzehrende Heuschreckenplage, folgt der Ansturm eines übermächtigen Feindes. Gott wird in der Form eines wie die Heuschrecken alles vernichtenden Heeres sein endgültiges Gericht über Israel hereinbrechen lassen.

 

2. Aufbau

Doch im Angesicht des Gericht gibt es vielleicht Hoffnung. Die theologische Begründung dafür bieten die Verse 12-14 und das, was zu tun ist, entfalten die Verse 15-17. Eine Reihe von Imperativen prägt diesen Textabschnitt. In seiner Mitte steht die Aufforderung in das Signalhorn zu stoßen, wie bei einer sich nähernden Gefahr (vgl. Joel 2,1), nun ist es aber das Signal der kultischen Umkehr zu Gott: „Stoßt ins Horn zu Zion!“

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 12-13: JHWH ist der Befehlshaber des anrückenden Heeres. Der Gerichtstag Gottes ist angekündigt und steht unmittelbar bevor. Doch diese endgültig erscheinende Ansage in Vers 11 wird die Möglichkeit der Buße kontrastierend gegenübergestellt. Im hebräischen Text sind die verlangten Trauerriten (Fasten, Weinen und Klagen) Symbolhandlungen, die der Umkehr folgen und die Buße sichtbar werden lassen: „[…] Kehrt um mit ganzem Herzen und mit Fasten, und mit Weinen und mit Klagen!“  (Joel 2,12). Fasten ist in diesem Fall der Schrei nach Gnade, der nur eine Berechtigung hat, wenn der Klagende zu Gott umgekehrt ist – wenn das Herz nicht zu Gott umgekehrt ist, ist jede andere Form der Buße sinnlos (siehe Jer 14,10-12). Nicht die rituelle Handlung zum Beispiel des Zerreißens der Kleidung steht im Vordergrund, sondern die Umkehr mit dem Herzen, d.h. die vollbewusste Entscheidung für Gott. Dieser Umkehr liegt ein bestimmtes in Ex 34,6 verankertes Gottesbild zugrunde: Gott wendet sich dem Niedrigen zu, sorgt sich wie Eltern um seine Kinder – und er kann seinen Zorn auch zurückhalten, sozusagen einen „langen Atem beweisen“ und immer wieder neu Gemeinschaft stiften.

Vers 14: Die Reue Gottes ist jedoch kein Automatismus. Die Umkehr bietet nur ein „Vielleicht“ der Hoffnung. Dass Gott langmütig sein kann, begründet diese Hoffnung. Es ist der Glauben, an den Gott der statt verbrannter Erde auch vergebenden Segen spenden kann und somit die Lebensmöglichkeit gewährt, die die Natur aufblühen lässt und den menschlichen Kult ermöglicht.

Verse 15-16: Aus dem Warnsignal vor dem Feind wird der Aufruf bei JHWH Zuflucht zu suchen. Die Bewohner Jerusalems sollen sich heiligen, das heißt, bereit machen zum Gottesdienst. Bemerkenswert ist die allumfassende Forderung. Vom Greisen bis zum Säugling sollen sich alle versammeln und selbst Braut und Bräutigam, sollen ihren Freudenmoment beenden.

Vers 17: Im Zentrum des Gottesdienstes soll die von den Priestern vorgetragene Klage stehen. Die Klage ist ein Erinnerungsruf – die Priester sollen Gott an sein Volk erinnern. Wenn die Völker fragen würden: Wo ist denn ihr Gott? Dann würde das bedeuten, dass Gott sein besonderes Verhältnis zu Israel beendet hätte. Es wäre jedoch zugleich auch ein Vorwurf und eine Anfrage an die Macht Gottes. In der zusprechenden Klage wird Gott selbst in Frage gestellt.

Vers 18: Die von den Versen 1-11 nicht zu erwartende, in den Versen 13-14 erhoffte und in Vers 17 erbetene Vergebung Gottes ereignet sich, aufgrund Gottes Leidenschaft und seinem Mitleid – als Antwort auf die Klage der stellvertretend für das Volk die Stimme erhebenden Priester.

Auslegung

Der Prophet Joel verkündet eine radikale Theologie: Es ist nie zu spät zu Gott umzukehren. Dies ist jedoch zugleich eine Warnung vor einem leeren Ritualismus. Der Ruf zur Buße erklingt auf dem Hintergrund der Katastrophenansage, aber die Umkehr muss aufrichtiges Bekenntnis zu Gott sein. Nur so kann aus der Flucht vor den von Gott angeführten Feinde eine Zuflucht zu Gott werden. Wie sehr die Umkehr zu Gott im Zentrum der Theologie Joels steht, wird darin ersichtlich, dass er keine Sünde, kein Vergehen Israels thematisiert. Das Volk soll sich nicht von etwas abkehren. Es geht nicht explizit um soziale, politische oder kultische Verfehlungen. Sondern das Volk soll sich zu Gott bekehren, denn nur bei ihm kann aus Zorn Barmherzigkeit werden. Der Prophet lehrt so, dass mit dem verkündeten Gott immer als dem Kommenden zu rechnen ist.

Kunst etc.

Bis heute ist das Zerreißen von Kleidung ein Trauerbrauch im Judentum. Entweder reißt der Trauernde selbst oder jemand anderes die Kleidung gut sichtbar ein, sobald die Todesnachricht überbracht ist oder die Kleidung wird bei der Beerdigung angerissen. So soll der innere Zustand des aus Trauer zerissenen Herzens auch äußerlich dargestellt werden. Im Falle des Todes der Eltern, darf der Riss nach der Trauerzeit nicht wieder genäht werden.