Lesejahr A: 2022/2023

1. Lesung (Apg 2,1-11)

21Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort.

2Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.

3Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.

4Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.

5In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel.

6Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden.

7Sie waren fassungslos vor Staunen und sagten: Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?

8Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören:

9Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien,

10von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten,

11Juden und Proselyten, Kreter und Araber - wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.

Überblick

Der Geist und die Sprache der Menschen. Das Pfingstwunder erzählt von gelingender Kommunikation und lässt uns doch fragend zurück.

 

1. Verortung im Buch
Der zweite Band des Lukas, Autor des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte (Apg), widmet sich der Geschichte der Taten der Apostel und der frühen Gemeinden. Diese Erzählung beginnt mit der Himmelfahrt Jesu (Apg 1,4-12). Danach berichtet sie über die Gemeinde in Jerusalem (Apg 1,13-14) und die Wahl des Matthias zum Apostel (Apg 1,15-26). Mit der Erzählung vom Pfingstwunder weitet sich der Blick. Nun geht es erstmals nicht mehr nur um die Gemeinschaft der Jünger Jesu, sondern auch um die Menschen um sie herum. Sie sind vom stattfindenden Wunder hautnah betroffen und spüren dessen Auswirkungen.

 

2. Aufbau
Die Erzählung vom Pfingsttag ist in zwei Perspektiven aufgeteilt, anhand derer man den Abschnitt unterteilen kann: Teil 1 (Verse 1-4) ist aus der Perspektive der Jünger, Teil 2 (Verse 5-11) aus der Perspektive der „frommen Männer aus allen Völkern“ geschrieben, die das Wunder in Jerusalem live mitbekommen.

 

3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Der „Pfingsttag“ heißt wörtlich pentekoste hemera (griechisch: πεντηκοστὴ ἡμέρα) und bezeichnet den 50. Tag nach dem jüdischen Fest, das zum Beginn der Weizen- und Feldfrüchteernte gefeiert wird. Es ist ein Wallfahrtsfest, zu dem auch Juden aus anderen Regionen nach Jerusalem pilgerten. 
Entsprechend wird das Pfingstfest im christlichen Festkalender 50 Tage nach dem Osterfest gefeiert. Mit Pfingsten geht die österliche Festzeit zu Ende, die Auferstehung Jesu und seine Rückkehr zum Vater (Himmelfahrt) münden in die Gabe des Geistes (Apg 1,8-9).

Wenn davon die Rede ist, dass „alle“ an einem Ort waren, dann sind damit die Apostel und übrigen Männer und Frauen aus der Jüngerschaft Jesu und Maria gemeint (Apg 1,14). Sie bleiben nach der Himmelfahrt Jesu als Gemeinschaft im Gebet zusammen.

 

Verse 2-4: Das Herabkommen des Heiligen Geistes ist mit hörbaren, sichtbaren und erfahrbaren Zeichen verbunden. Im Geschehen wird die Ankündigung Jesu aus Apg 1,5 wahr. Dort hatte er den Jüngern angekündigt, dass sie „mit dem Heiligen Geist getauft werden“. Die Verdeutlichung eines an sich unsichtbaren und vor allem in den Personen selbst wirksam werdenden Wunders erinnert an die Darstellung der Taufe Jesu in Lukasevangelium 3,22. Dort wird der Heilige Geist mit der Taube und der himmlischen Stimme verbunden.

Das Feuer und auch das Sturmesbrausen erinnern an Szenen aus dem Alten Testament, in denen sich Gott Menschen offenbart. So geht das Brausen und der Wind dem Säuseln der Gottesbegegnung voran, wenn der Prophet Elia am Horeb Gott begegnet (1. Buch der Könige 19,11-12). Das Feuer spielt in Gestalt des brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbuschs in der Moseerzählung eine große Rolle (Exodus 3,2).

Dramaturgisch geschickt erklärt Lukas erst am Ende, wie die Phänomene zu deuten sind: es ist der Heilige Geist, der von Gott auf die Jünger herabkommt. Seine Wirksamkeit zeigt sich in dem Sprechen fremder Sprachen.

 

Vers 5: Der Fokus wechselt von den Jüngern hin zu den Menschen, die Zeugen des Wunders werden. Die „frommen Männer aus allen Völkern“ sind Juden aus anderen Regionen, so zum Beispiel Diasporajuden, die in ihren Regionen eine Minderheit bilden und zum Festtag nach Jerusalem gepilgert sind. Mit dem Wechsel auf eine andere Personengruppe geht auch ein Ortswechsel einher. Sind die Jünger im Haus (Vers 2), werden die Pilger in der Stadt verteilt gewesen sein.

 

Verse 6-8 und 11b: Lukas beschreibt die Wirkung des Pfingstwunders auf die Menschen in Jerusalem. Vermutlich werden nicht nur Juden durch das „Getöse“ angelockt worden sein, sondern auch Menschen anderer religiöser Prägungen. Da in der Erzählung der Apostelgeschichte der Fokus jedoch noch auf der Weitergabe des Christusglaubens an die Juden als Gottes auserwähltes Volk liegt, werden sie besonders erwähnt. „Bestürzung“ und „Staunen“ sind Reaktionen auf etwas Unbekanntes, aber durchaus auch Reaktionen in der Begegnung mit Gott. Lukas spielt auf beiden Deutungen hier an. Das „Getöse“ ist nicht nur das Brausen, sondern auch der Lobpreis bzw. das Verkünden der Taten Gottes.

Lukas lässt vollkommen offen, woran man die Jünger als Galiläer erkennt (Kleidung etc.). Offenbar steht die Herkunft aus diesem Gebiet aber nicht für eine weitreichende Sprachenbildung. Denn die Vielsprachigkeit der Jünger ist der Überraschungseffekt für die umstehenden Juden.

 

Verse 9-11a: Die Liste der Regionen, aus denen die Zuhörer des Pfingstwunders stammen, weitet das Ereignis über Jerusalem hinaus. Die verschiedenen Völker und Landstriche stehen für die Ausrichtung der christlichen Verkündigung auf alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft. Zugleich wird damit deutlich, dass auch das Judentum in seinem Glauben die „Welt“ durchzieht (vgl. Karte unter „Kunst“).

„Proselyten“ sind Menschen nichtjüdischer Herkunft, die zum Judentum übergetreten sind.

Auslegung

Die Gabe des Heiligen Geistes bringt im Abschnitt aus der Apostelgeschichte eine zweifache Wirkung hervor. Die Jünger Jesu verwandeln sich in redegewandte und verschiedener Sprachen mächtige Menschen. Dies bedeutet nicht, dass sie vorher vollkommen unfähig gewesen wären, zu sprechen und auch anderen die Botschaft Jesu weiterzugeben. Schließlich hatte Jesus selbst sie ausgesendet, damit sie in alle Dörfer und Städte gehen und das Reich Gottes verkünden (Lukasevangelium 10,8-9). Und doch verändert sich durch die Gabe des Geistes etwas in den Jüngern. Lukas hatte in Apg 1,14 und auch in Apg 2,1 betont, dass sie alle gemeinsam an einem Ort waren bzw. gemeinsam im Gebet verharren. Mit anderen Worten: Die Jünger bleiben beieinander und untereinander. Sicher meint das nicht, dass sie die ganze Zeit im Haus geblieben sind und niemandem mehr von Jesus und dem Reich Gottes erzählt haben. Aber offenbar war ihr Schwerpunkt die eigene Gemeinschaft und das gemeinsame Gebet. Nach allem, was die Jünger erlebt haben, ist dies gut nachzuvollziehen: Sie sind mit Jesus unterwegs gewesen, haben sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung mitbekommen, haben gesehen, wie er in den Himmel aufgenommen wurde und gehört, wie er ihnen den Heiligen Geist als Gabe Gottes angekündigt und sie zur Zeugenschaft ermuntert hat. All das müssen sie erst einmal verarbeiten, einsortieren, im Gebet vor Gott tragen und miteinander diskutieren. Sie werden an einzelnen Stellen die Botschaft Jesu weitergegeben haben, aber es fehlt ihnen noch an der richtigen „Ausstattung“ für eine kraftvolle Verkündigung. Nun tritt das Verheißene ein: Ihnen wird der Heilige Geist geschenkt und seine Gegenwart erleben sie als Aufbruchssignal, die geschützte Umgebung ihrer Gemeinschaft aufzubrechen und mit dem Auftrag Jesu so richtig loszulegen. Durch die Gabe des Geistes erfahren sie sich als kraftvoll, gestärkt und von Gott bestätigt. Von nun an wird ihnen im wahrsten Sinne des Wortes kein Weg zu weit und kein Hindernis zu groß sein, um Gottes Wort zu verkünden.

Und noch etwas bewirkt der Heilige Geist: Die Botschaft Jesu kommt mitten im Leben der Menschen an. Wenn Lukas davon spricht, dass alle die Jünger in ihrer Muttersprache sprechen hören, meint das nicht nur, dass die Jünger plötzlich mutig werden und zu sprechen beginnen. Gemeint ist auch die Übersetzung der Botschaft in Worte (und Gesten), die für die unterschiedlichen Menschen verständlich sind. Die Muttersprache ist die „Ursprache“ jedes Menschen, sie ist die Sprache des Alltags, der Emotionen, der Familie, die Sprache, die Geborgenheit und Heimat ausstrahlt. Wenn nun alle anderen die Jünger in ihrer Muttersprache sprechen hören, heißt das: die Botschaft des Evangeliums ist angekommen in der Lebenswirklichkeit der vielen verschiedenen Volks- und Sprachgruppen, die Lukas aufzählt.

Der Heilige Geist sorgt in der Erzählung von Pfingsten für Weite: Er treibt die Jünger aus dem Haus und zu den Menschen und damit an alle Enden der Erde. Und er bringt die Botschaft des Evangeliums mitten in die Lebenswelten der Menschen. Wenn wir Pfingsten feiern, werden wir zu genau dieser Weite ermutigt und wie die Jünger befähigt: Die eigenen Gruppen und vertrauten Wege zu verlassen und mutig die Botschaft Jesu in den Alltag der Menschen zu tragen.

Kunst etc.

Rom, Vatikan, Petersdom, Die Taube des Hl. Geistes (Cathedra Petri, Bernini)