Der Geist und die Sprache der Menschen. Das Pfingstwunder erzählt von gelingender Kommunikation und lässt uns doch fragend zurück.
1. Verortung im Buch
Der zweite Band des Lukas, Autor des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte (Apg), widmet sich der Geschichte der Taten der Apostel und der frühen Gemeinden. Diese Erzählung beginnt mit der Himmelfahrt Jesu (Apg 1,4-12). Danach berichtet sie über die Gemeinde in Jerusalem (Apg 1,13-14) und die Wahl des Matthias zum Apostel (Apg 1,15-26). Mit der Erzählung vom Pfingstwunder weitet sich der Blick. Nun geht es erstmals nicht mehr nur um die Gemeinschaft der Jünger Jesu, sondern auch um die Menschen um sie herum. Sie sind vom stattfindenden Wunder hautnah betroffen und spüren dessen Auswirkungen.
2. Aufbau
Die Erzählung vom Pfingsttag ist in zwei Perspektiven aufgeteilt, anhand derer man den Abschnitt unterteilen kann: Teil 1 (Verse 1-4) ist aus der Perspektive der Jünger, Teil 2 (Verse 5-11) aus der Perspektive der „frommen Männer aus allen Völkern“ geschrieben, die das Wunder in Jerusalem live mitbekommen.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Der „Pfingsttag“ heißt wörtlich pentekoste hemera (griechisch: πεντηκοστὴ ἡμέρα) und bezeichnet den 50. Tag nach dem jüdischen Fest, das zum Beginn der Weizen- und Feldfrüchteernte gefeiert wird. Es ist ein Wallfahrtsfest, zu dem auch Juden aus anderen Regionen nach Jerusalem pilgerten.
Entsprechend wird das Pfingstfest im christlichen Festkalender 50 Tage nach dem Osterfest gefeiert. Mit Pfingsten geht die österliche Festzeit zu Ende, die Auferstehung Jesu und seine Rückkehr zum Vater (Himmelfahrt) münden in die Gabe des Geistes (Apg 1,8-9).
Wenn davon die Rede ist, dass „alle“ an einem Ort waren, dann sind damit die Apostel und übrigen Männer und Frauen aus der Jüngerschaft Jesu und Maria gemeint (Apg 1,14). Sie bleiben nach der Himmelfahrt Jesu als Gemeinschaft im Gebet zusammen.
Verse 2-4: Das Herabkommen des Heiligen Geistes ist mit hörbaren, sichtbaren und erfahrbaren Zeichen verbunden. Im Geschehen wird die Ankündigung Jesu aus Apg 1,5 wahr. Dort hatte er den Jüngern angekündigt, dass sie „mit dem Heiligen Geist getauft werden“. Die Verdeutlichung eines an sich unsichtbaren und vor allem in den Personen selbst wirksam werdenden Wunders erinnert an die Darstellung der Taufe Jesu in Lukasevangelium 3,22. Dort wird der Heilige Geist mit der Taube und der himmlischen Stimme verbunden.
Das Feuer und auch das Sturmesbrausen erinnern an Szenen aus dem Alten Testament, in denen sich Gott Menschen offenbart. So geht das Brausen und der Wind dem Säuseln der Gottesbegegnung voran, wenn der Prophet Elia am Horeb Gott begegnet (1. Buch der Könige 19,11-12). Das Feuer spielt in Gestalt des brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbuschs in der Moseerzählung eine große Rolle (Exodus 3,2).
Dramaturgisch geschickt erklärt Lukas erst am Ende, wie die Phänomene zu deuten sind: es ist der Heilige Geist, der von Gott auf die Jünger herabkommt. Seine Wirksamkeit zeigt sich in dem Sprechen fremder Sprachen.
Vers 5: Der Fokus wechselt von den Jüngern hin zu den Menschen, die Zeugen des Wunders werden. Die „frommen Männer aus allen Völkern“ sind Juden aus anderen Regionen, so zum Beispiel Diasporajuden, die in ihren Regionen eine Minderheit bilden und zum Festtag nach Jerusalem gepilgert sind. Mit dem Wechsel auf eine andere Personengruppe geht auch ein Ortswechsel einher. Sind die Jünger im Haus (Vers 2), werden die Pilger in der Stadt verteilt gewesen sein.
Verse 6-8 und 11b: Lukas beschreibt die Wirkung des Pfingstwunders auf die Menschen in Jerusalem. Vermutlich werden nicht nur Juden durch das „Getöse“ angelockt worden sein, sondern auch Menschen anderer religiöser Prägungen. Da in der Erzählung der Apostelgeschichte der Fokus jedoch noch auf der Weitergabe des Christusglaubens an die Juden als Gottes auserwähltes Volk liegt, werden sie besonders erwähnt. „Bestürzung“ und „Staunen“ sind Reaktionen auf etwas Unbekanntes, aber durchaus auch Reaktionen in der Begegnung mit Gott. Lukas spielt auf beiden Deutungen hier an. Das „Getöse“ ist nicht nur das Brausen, sondern auch der Lobpreis bzw. das Verkünden der Taten Gottes.
Lukas lässt vollkommen offen, woran man die Jünger als Galiläer erkennt (Kleidung etc.). Offenbar steht die Herkunft aus diesem Gebiet aber nicht für eine weitreichende Sprachenbildung. Denn die Vielsprachigkeit der Jünger ist der Überraschungseffekt für die umstehenden Juden.
Verse 9-11a: Die Liste der Regionen, aus denen die Zuhörer des Pfingstwunders stammen, weitet das Ereignis über Jerusalem hinaus. Die verschiedenen Völker und Landstriche stehen für die Ausrichtung der christlichen Verkündigung auf alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft. Zugleich wird damit deutlich, dass auch das Judentum in seinem Glauben die „Welt“ durchzieht (vgl. Karte unter „Kunst“).
„Proselyten“ sind Menschen nichtjüdischer Herkunft, die zum Judentum übergetreten sind.