Gott gefällt kein Unrecht, er segnet, hasst und vernichtet.
1. Verortung im Buch
„Ich legte mich nieder und schlief, ich erwachte, denn der HERR stützt mich“, spricht der Beter in Psalm 3,6 und ist sich des kommenden Morgens gewiss. Auch der Beter in Psalm 4,9 ist sich gewiss die Finsternis der Nacht zu durchstehen: „In Frieden leg ich mich nieder und schlafe; denn du allein, HERR, lässt mich sorglos wohnen.“ – und nun in Ps 5 legt der Beter seine ganze Hoffnung in den Morgen: „HERR, am Morgen hörst du mein Rufen, am Morgen rüst ich das Opfer zu, nach dir halte ich Ausschau.“
Mit dem vorherigen Psalm verbindet sich Psalm 5 in der Aufforderung an Gott, zu hören: „…hör auf mein Flehen“ (Psalm 4,2) – „Höre, HERR, meine Worte, denn zu dir flehe ich.“ (Psalm 5,2-3). Und beiden Psalmen ist die Gewissheit gemein, dass Gott hören wird. Der vorherige Psalm endete in dem begründeten Bekenntnis: „denn du allein, HERR, lässt mich sorglos wohnen“ (Psalm 4,9). Nun heißt es am Ende des Psalms wieder „denn du“, nämlich: „Denn du, HERR, segnest den Gerechten. Wie mit einem Schild deckst du ihn mit Gnade“ (Psalm 5,13) – Es wirkt fast als würde sich das begründende „denn“ am Ende des vorherigen Psalms nun durch dieses Gebet ziehen: „denn zu dir flehe ich“ (Vers 3); „denn du bist kein Gott, dem das Unrecht gefällt“ (Vers 5); „denn sie empörten sich gegen dich“ (Vers 11); und eben das abschließende: „Denn du, HERR, segnest den Gerechten. Wie mit einem Schild deckst du ihn mit Gnade“ (Vers 13).
2. Aufbau
In Psalm 5 folgt der Erhörungsbitte (Verse 2-3) die Rechtsbitte (Verse 4-11), die in Erhörungsgewissheit endet (Verse 12-13). Der Hauptteil des Psalms ist zweigeteilt in einen Hymnus auf den Gott der Gerechtigkeit (Verse 4-8) und die Bitte um einen Rechtsentscheid (Verse 9-11).
Das Gebet ist durchweg als ein Ich-Du-Gespräch mit Gott gestaltet – selbst in den Versen 4-8, in denen der Beter zu Gott über Gott redet. In den letzten beiden Versen verschiebt sich dies jedoch leicht, da der Beter nun seine auf seine Situation begrenzte Perspektive öffnet: „Doch alle sollen sich freuen, die auf dich vertrauen, und sollen immerfort jubeln“ (Vers 12). Der Beter rechnet sich nun zu der Gruppe derjenigen, die auf Gott vertrauen. Zuvor hatte er sich deutlich von denen, die Gott entgegenstehen distanziert. Die Beziehung des Beters zu Gott wird im Text an zwei Stellen besonders deutlich (Verse 5 und 8), in denen eine Form des eher selten im Hebräischen verwendeten Personalpronomens steht: „Denn kein Gott, dem das Unrecht gefällt, bist Du [!]; ein Böser darf nicht bei dir weilen“ (Vers 5) – deutlich wird Gott so abgegrenzt von denjenigen, die in den Versen 5-7 als Böser, Stolze, Unrecht-Tuer, Lügner, Mörder und Betrüger gebrandmarkt werden. Sie sollen verstoßen werden von Gott „wegen ihrer vielen [ברב, gesprochen: berov] Verbrechen“ (Vers 11). Der Beter hingegen betont seine gute Beziehung, ja Nähe zu Gott: „Aber ich [!], ich darf dein Haus betreten dank deiner großen [ברב, gesprochen: berov] Güte, ich werfe mich nieder in Ehrfurcht vor deinem heiligen Tempel“ (Vers 8).
Mehrfach finden sich in Psalm 5 direkte Gottesanreden (Verse 2.4.9.11.13), denen Bitten, die begründet werden („denn“), folgen. Dieses Muster wird dann in den letzten beiden Versen durchbrochen und Gott selbst wird in der Begründung angesprochen: „Denn du, HERR, segnest den Gerechten“ (Vers 13).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Zu den Angaben „Ein Psalm Davids“ und „Für den Chormeister“ siehe Psalm 3,1; 4,1. Die Angabe „Zum Flötenspiel“ ist als Übersetzung umstritten, da das hebräische Wort הַנְּחִיל֗וֹת im Alten Testament nur hier und nirgendwo anders steht. Oft wird es als eine Form des hebräischen Wortes für Flöte gedeutet. In der antiken Übersetzung ins Aramäische, dem Targum, wird das Wort als „Saitenspiel“ wiedergegeben. Die antike, griechische Übersetzung, der Septuagina, hingegen interpretiert das Wort anders und als Themenangabe: „über die, die erbt“ (siehe dazu „Kontext“).
Verse 2-3: Die Verse beschreiben das Reden des Beters zu Gott, doch anders als in der revidierten Einheitsübersetzung angezeigt, wird der Beter das eigentliche Bittgebet erst noch sprechen, wörtlich: „denn zu dir werde ich flehen“ (vgl. Vers 4). Die Worte des Beters werden zuerst als ein leises Wimmern beschrieben, das zu einem lauten Rufen wird. Der Beter wendet sich mit drei Aufforderungen an Gott: nach „höre!“ steht direkt der Gottesname und somit die direkte Anrede; „achte!“ und „vernimm“ umrahmen das Bekenntnis, dass JHWH der Gott und der König des Beters sind. Als König ist Gott zugleich der oberste Gerichtsherr (vgl. Vers 4), bei dem sich der Beter nun durch sein Rufen erst einmal Gehör verschafft. Diese drei Aufforderungen sind im hebräischen Text keine Imperative, sondern sogenannte Adhortative, die zum einen die Dringlichkeit verdeutlichen aber eher einen Wunsch als einen Befehl darstellen.
Vers 4: Zweimal wird innerhalb des Verses betont, dass der Beter „am Morgen“ vor Gott treten wird. Im Alten Orient ist der Morgen die Zeit des Gerichtes; siehe Jeremia 21,12: „Haus David! - so spricht der HERR: / Haltet jeden Morgen gerechtes Gericht!“. Es gehört auch zum alttestamentlichen Glauben, dass Gott die Menschen am Morgen rettet, bzw. wie hier erhofft hört: „Aber der HERR tritt für das Recht ein in ihrer Mitte, er tut kein Unrecht. Morgen für Morgen fällt er das Urteil, es fehlt nie beim Aufgang des Lichts“ (Zefanja 3,5). In der revidierten Einheitsübersetzung wird das Flehen des Beters und das Hören Gottes mit dem Morgenopfer in Zusammenhang gebracht. Dies ist eine mögliche Deutung des hebräischen Verbs ערך, im Sinne “ein Opfer herrichten“ wird es zum Beispiel in Levitikus 1,8 verwendet. Allerdings kann es auch, z.B. in Ijob 32,14 „einen Rechtsfall darlegen“ bedeuten. Vielleicht erwartet der Beter im Rahmen einer Opferhandlung einen Rechtsentscheid? – jedenfalls erwartet er eine sichtbare Antwort, nach der er späht.
Verse 5-7: Nun redet der Beter zu Gott über Gott und verwendet dazu dreimal die Verneinung „nicht“ und drei Ablehnungsverben. Gott wird deutlich vom Unrecht und diejenigen, die das Unrecht tun, abgegrenzt. Dies impliziert auch eine räumliche Distanz – „ein Böser darf nicht bei dir [d.h. im Tempel] weilen“ (Vers 5, vgl. Vers 8). Das Gräuel in den Augen Gottes wird durch sieben Begriffe und somit allumfassend in den Dimensionen von Wort und Tat beschrieben – das Unrecht steht im Kontrast zu Gottes Gerechtigkeit (Vers 9). Das Gegenüber von Unrecht-Tuern und Gott wird mit drastischen Worten beschrieben: Gott hasst und vernichtet sie, sie sind ihm ein Gräuel – eine größtmögliche Distanz zwischen Menschen, die in Kontrast zu allem, was Gott, das Leben und das gesellschaftliche Miteinander verneint, und Gott in Worten dargestellt; vgl. auch Sprichwörter 6,16-19: „Sechs Dinge sind dem HERRN verhasst, sieben sind ihm ein Gräuel: Stolze Augen, eine falsche Zunge, Hände, die unschuldiges Blut vergießen, ein Herz, das finstere Pläne hegt, Füße, die schnell dem Bösen nachlaufen, ein falscher Zeuge, der Lügen zuflüstert, und wer Streit entfacht unter Brüdern.“ Das hebräische Wort Greuel beschreibt zudem im Buch Deuteronomium explizit noch jedwede Form von Götzendienst.
Vers 8: Der Vers beginnt mit einem betonten „Ich“, womit der Beter sich deutlich in Kontrast setzt zu den in den Versen 5-7 aufgezählten Personen, die Unrecht tun. Dass er in das Tempelareal eintreten darf, bezeugt, dass er kein Unrecht getan hat (siehe Vers 5). Dies, also die Nähe zu Gott, wird jedoch nicht als Verdienst oder eigenes Werk gepriesen, sondern als Geschenk Gottes. Seine Huld ist hier im Sinne von seiner Loyalität zu denen, die sich von Gottes Gerechtigkeit (siehe Vers 9) leiten lassen, zu lesen. Ein Tempel galt im Alten Orient als Königspalast Gottes (siehe „mein König und mein Gott“ in Vers 3), und die Gottesfurcht, hier mit „Ehrfurcht“ übersetzt ist das Fundament der Beziehung zu Gott.
Vers 9: Nun formuliert der Beter seine eigentliche Bitte in den Versen 9 und 11. Sich durch Gottes Gerechtigkeit leiten zu lassen, und um den ebenen Weg Gottes zu bitten, bzw. sich nicht nur auf den eigenen Lebenswandel – weder geht es um Selbstgerechtigkeit noch Glück im Leben, sondern um die Annahme, des durch Gott bestimmten Schicksals – den Weg Gottes. Dieser Weg wird aus der Sicht des Beters durch seine Feinde, wörtlich „die lauernden Gegner“ bedroht.
Vers 10: Nun werden die Gegner des Beters beschrieben. Im Zentrum des Vorwurfes steht vor allem ihre Rede („Mund“, „Kehle“, „Zunge“). Der Vorwurf ist jedoch nicht nur auf Lügen begrenzt, sondern hat die Art und Weise (Heuchelei, aalglatte Zunge) und ihre tödliche Wirkung im Blick. Ihr Innerstes und somit ihre Gedanken und Wünsche, ihre Person, ist verdorben, bzw. bedeutet Verderben. Bemerkenswert ist am Anfang dieses Verses, dass die Feinde nicht als Kollektiv angeklagt werden, sondern indiviuell, wörtlich übersetzt steht dort: „im Mund von jemandem“.
Vers 11: Nach der positiven Formulierung der Bitte in Vers 9 folgt nun die zweite Seite. Die lauernden Feinde sollen von Gott verurteilt werden, wörtlich: „Gott, sprich sie schuldig!“ Der Beter fordert den sogenannten Tun-Ergehen-Zusammenhang ein. Die Fülle ihrer Verbrechen steht der Fülle Gottes Gnade gegenüber. Der entscheidende Grund für die Bestrafung ist jedoch nicht die Bedrohung für den Beter, sondern ihr Handeln gegen Gott. Beter und Gott werden hier Seite an Seite gedacht wie in Psalm 139,21: „Sollen mir nicht verhasst sein, HERR, die dich hassen, soll ich die nicht verabscheuen, die sich gegen dich erheben?“
Verse 12-13: Der Blick wendet sich ab von den Gegnern. Vers 11 endet im Hebräischen mit dem Wort בך (gesprochen: becha), „gegen dich“; diese Wendung wird nun in Vers 12 zweimal aufgenommen und ins positive gewendet: „Doch alle sollen sich freuen, die auf dich [בך] vertrauen, und sollen immerfort jubeln. Beschütze sie und sie werden jauchzen über dich [בך], die deinen Namen lieben.“ Der Beter nimmt das Kollektiv derjenigen in den Blick, die auf Gott vertrauen. Sein Flehen zu Gott soll als Präzedenzfall für sie gelten. Gott soll sich für den Gerechten, also denjenigen, der sich vom Gottes Gerechtigkeit leiten lässt, als ein großes Standschild beweisen, das rundum Schutz bietet. Dieses kriegerische Bild in Vers 13 bietet mehrere Sinndimension, die durch eine wörtliche Übersetzung deutlich werden: „Denn du, du segnest den Gerechten, JHWH, wie mit dem Standschild krönst du ihn mit Wohlgefallen.“ Der Schutz ist wie eine königliche Krone, die verliehen wird, und somit Schmuck und Macht zugleich anzeigt. Der Gerechte bleibt jedoch ohne eine eigene Gewalt, sondern ist abhängig vom Wohlgefallen, von der Fülle der Gnade Gottes. Die Beziehung Gottes zum Gerechten sei der Ort, an dem sich die Macht Gottes beweise.