Mit Psalm 2 sehnen wir uns lachend und spottend nach der Weltherrschaft des Sohnes Gottes. Gebet, Weisheitslehre oder Machtideologie? Wie können wir Psalm 2 heute beten?
1. Verortung im Buch
Der Psalter beginnt mit einem doppelten Paukenschlag: Psalm 1 benennt die Tora Gottes als Weg zur rechten Lebensführung – und Psalm 2 ist eine Aufforderung zum Vertrauen auf Gott als den souveränen Weltenherrscher. Beide Psalmen, die ohne trennende Überschrift und auch ohne Gottesanrede am Anfang des Psalters stehen, umgreifen die Ebenen der persönlichen und des politisch-kollektiven Lebens. Die Psalm 2 abschließende Seligpreisung knüpft direkt an Psalm 1 an (siehe dort Vers 1) und verdeutlicht, dass allgemein gilt: Gott bietet den entscheidenden Schutz- und Lebensraum. Die beiden Seligpreisungen legen sich als Rahmen um die beiden Psalmen.
Wenn man beide Psalmen eng aufeinander bezogen liest, zeigen sich Gedankenlinien. Die Aussage in Psalm 1,6 („Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten, der Weg der Frevler aber verliert sich“) hat ihre Entsprechung in der Warnung an die Völker in Psalm 2,12 („küsst den Sohn, damit er nicht zürnt und euer Weg sich nicht verliert“). Zwischen dem Seliggepriesenen in Psalm 1 und den Völkern in Psalm 2 besteht ein starker Kontrast: Während der Glückliche die Tora tagaus und tagein rezitiert (הגה), hängen die feindlichen Völker Nichtigem hinter (הגה). Selig ist nur, wer seinen Schutz in Gott sucht.
Selbst der in Psalm 2 genannte und auch zu Wort kommende Gesalbte Gottes wird im Verlauf des Psalters entmachtet. Gemäß Psalm 89 – die Wasserscheide des Psalters – hat Gott ihm im Zorn seinen Beistand entzogen (Verse 39-46), obwohl ihm doch die Sohnschaft und die Weltherrschaft zugesprochen war (Verse 20-38; vgl. Psalm 2,6-9). Ab Psalm 90 tritt im Psalter gegenüber dem weltlichen Königtum von Gottes Gnaden, die Königsherrschaft Gottes in den Vordergrund. Am Ende des Psalters ist es dann nicht mehr der Gesalbte Gottes, der die Völker zum Gotteslob aufruft, sondern die „Söhne Zion“ und die „Frommen“ (Psalm 149). Die Macht liegt nun beim Volk: „In Herrlichkeit sollen die Frommen frohlocken, sie sollen jauchzen auf ihren Lagern, Hochgesänge auf Gott in ihrer Kehle, ein zweischneidiges Schwert in ihren Händen, um unter den Nationen Vergeltung zu üben, Strafgericht bei den Völkern, um ihre Könige mit Fesseln zu binden, ihre Fürsten mit eisernen Ketten, um Gericht über sie zu halten, wie geschrieben steht. Lichtglanz ist das all seinen Frommen. Halleluja!“
2. Aufbau
Psalm 2 ist ein Musterbeispiel für den sogenannten Parallelismus membrorum. Wenn man von jedem Vers immer nur die erste Hälfte lesen würde – würde man trotzdem einen vollständigen Text lesen und die Aussage des Gesamtpsalms vor sich haben.
Der Aufbau des Psalms ist auch sehr gleichmäßig, jeweils drei Verse bilden eine Strophe, sodass der Psalm insgesamt aus vier Strophen besteht. Durchaus verwirrend sind jedoch die plötzlichen, nicht angezeigten Sprecherwechsel innerhalb des Psalms. Ein unbekannter Beobachter beginnt den Psalm und blickt auf den Aufstand der Völker gegen den Gesalbten Gottes (Verse 1-2) und die Könige der feindlichen Völker kommen selbst – zitiert – zu Wort (Vers 3). Die Reaktion Gottes wird in den Versen 4-5 beschrieben, bevor er dann selbst zu Wort kommt (Vers 6). Nun ergreift der Gesalbte Gottes selbst das Wort, indem er ein Gotteswort zitiert (Verse 7-9). Die folgenden Umkehrpredigt könnte wieder von dem unbekannten Beobachter gesprochen sein oder von dem Gesalbten Gottes (Verse 10-12).
So beschreiben die beiden inneren Abschnitt (Verse 4-6 und 7-9), das innige Verhältnis Gottes zu seinem Gesalbten, dem König. Und die beiden rahmenden Abschnitte (Verse 1-3 und 10-12) widmen sich der Beziehung der Völkerwelt zu Gott.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Am Anfang des Psalms steht keine Frage nach dem Grund des Handelns der Völker, sondern eigentlich die Frage “Wozu?”. Zu welchem Zweck, „toben“, d.h. sind die Völker laut? Auch der Fortgang des Verses sagt noch nichts Negatives über die Völker aus. Wörtlich: Sie rezitieren, bzw. sagen laut auf. Doch das, was sie sagen, zeigt nun zwar nicht ihre Absicht an, aber doch schon, dass es vergeblich ist: „Nichtiges“. Die politische Dimension dieser vergeblichen Unruhe wird in Vers 2 offengelegt.
Vers 2: Die Könige der Völker – perspektivisch geht es hier um die gesamte Völkerwelt - proben den Aufstand und verschwören sich gegen Gott und seinen Gesalbten Gottes. Das hebräische Wort מָשִׁיחַ (gesprochen: meschiach), von dem sich der Begriff „Messias“ ableitet, benennt hier keine endzeitliche Heilsgestalt, sondern verweist auf die Königssalbung (siehe zum Beispiel 1 Sam 10,1: „Da nahm Samuel den Ölkrug und goss Saul das Öl auf das Haupt, küsste ihn und sagte: Hiermit hat der HERR dich zum Fürsten über sein Erbe gesalbt.“).
Vers 3: Durch das Feindzitat werden die aufrührerischen Könige charakterisiert (vgl. Psalm 83.27). In ihren Worten wird Gottes Weltherrschaft vorausgesetzt, von der sie sich zu befreien suchen. Durch die Nennung der Fesseln und Stricke zeigen sie ihre Position als Vasallen an (vgl. zum Beispiel Jeremia 2,20). In ikonographischen Darstellungen sieht man oft die Hände von Vasallen durch Fesseln hinter den Körper geschnürt und mit Stricken zusammengebunden. Die Aussage von Vers 3 ist keine historische Perspektive, sondern an die israelitischen Leser gerichtet. Es geht um den Glauben an die Geschichtsmächtigkeit Gottes.
Verse 4-5: Spott ist ein Ausdruck der Überlegenheit. Das entmachtende Lachen zeigt Gottes Souveränität an. In dieses Spotten und Lachen können die Leser einstimmen (vgl. Sprichwörter 1,26-27). Der lachende Gott bietet somit ein Vorbild für den glaubenden Beter. Dem Spott Gottes folgt der Zorn Gottes (siehe Vers 5 und vgl. Weisheit 4,18-19: „Sie sehen es und gehen darüber hinweg; doch der Herr lacht über sie. Dann werden sie verachtete Leichen sein, ewiger Spott bei den Toten.“
Vers 6: Das Gotteswort beginnt mit einem direkten Kontrast zu den Worten der feindlichen Könige: „Ich aber“. Gott betont sein souveränes Handeln. Er hat den ihm unterstehenden König auf dem Berg Zion eingesetzt. Gott thront im Himmel und sein König regiert von dem Ort, an dem auch der Tempel steht. Der König ist somit sozusagen weltlicher Treuhänder der Königsherrschaft Gottes. Diese Gotteswort ist ein Machtwort, dass den König mit höchster Autorität ausstattet, die in den Worten des Königs in den Versen 7-9 bestätigt wird.
Vers 7: Im Alten Ägypten gab es die sogenannten Königsprotokolle. Sie dienten zur Bekanntgabe, dass die ägyptischen Götter bei der Krönung die Erwählung und Einsetzung des Pharaos ausriefen ließen. In eben diesem Sinne ist auch das im Folgenden vom Gesalbten zitierte Gotteswort zu verstehen, das er als „Beschluss“, bzw. als „Setzung“ bezeichnet (siehe dazu auch 2 Könige 11,12). Dass Gott den König als „meinen Sohn“ bezeichnet, ist ein Widerschein des altorientalischen Weltbildes. In Mesopotamien waren die Könige stets Söhne von Gottheiten. In Ägypten wurde die Krönung als eine Neugeburt verstanden, die dem König befähigte im Namen und um Auftrag einer Gottheit Heil für das Reich zu wirken. Auch in Ps 2,7 zeigt der Hinweis, dass „heute“ – bei der Krönung – Gott den König geboren hat, auf dieses Motiv der mythisch-mystischen Neugeburt hin. Dass die Sohnschaft des Königs durchaus auch eine kritische Dimension enthält und die Abhängigkeit von Gott anzeigt, verdeutlicht sich in Gottes Worten in 2 Samuel 7,14: „Ich werde für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein. Wenn er sich verfehlt, werde ich ihn nach Menschenart mit Ruten und mit Schlägen züchtigen.“
Verse 8-9: Die Macht und Herrschaft erhält der König durch Gott -ihn muss er darum bitten. Die zeigt sowohl das Machtgefälle als auch die direkte Nähe an. Die in diesem Kontext verwendeten hebräischen Wörter für die Weltherrschaft stammen aus dem israelitischen Landrecht. Der König erhält die Welt, samt Völker und Ländern als Besitzung und Erbland, die vererbt werden, bzw. von Gott gepachtet sind. Die weltlich uneingeschränkte Macht des Königs wird dann in Vers 9 in gängigen altorientalischen Bildern charakterisiert. Die sich darin ausdrückende Gewalt, dient der Sicherung der Weltordnung. „Zerschlagen“ bedeutet in diesem Kontext nicht zerstören, sondern das hebräische Wort רעע bezeichnet im Kontext der als eigenes Erbe verstandenen Völker und Länder die erziehende Züchtigung, bzw. die Sanktionsgewalt. Diesen Aspekt betont auch die antike, griechische Übersetzung, die den Teilvers folgendermaßen ausdeutet: „Du kannst sie weiden.“ Der Vergleich „wie Krüge aus Ton wirst [bzw. kannst] du sie zertrümmern“ erklärt sich aus einer altägyptischen, symbolischen Handlung. Das Zerschlagen von Tongefäßen, auf denen die Namen der Vasallen standen, diente als symbolische Handlung zur Unterdrückung aufständischer Feinde. Beide Aussagen in Vers 9 dürfen in ihrem Wortlaut nicht als Zukunftsaussagen missverstanden werden, sondern als Bemächtigung, bzw. Machtmöglichkeit für den König.
Vers 10: Aufgrund der Gottesreden in Versen 6-9 werden die Völker nun aufgefordert, ihre Konsequenzen zu ziehen. Die von Gott dem König Israel verliehene Macht, soll sie zur weisheitlichen Einsicht führen. Das hier verwendete hebräische Verb שׂכל wird zum Beispiel auch in Josua 1,7-8 verwendet und erhält auf dem Hintergrund von Psalm 1 einen besonderen Klag. „Sei ganz mutig und stark und achte genau darauf, dass du ganz nach der Weisung handelst, die mein Knecht Mose dir gegeben hat! Weich nicht nach rechts und nicht nach links davon ab, damit du Erfolg hast überall, wo du unterwegs bist! 8 Über dieses Buch der Weisung sollst du immer reden und Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, genauso zu handeln, wie darin geschrieben steht. Dann wirst du auf deinem Weg Glück und Erfolg haben (שׂכל),“ steht in Josua 1,7-8. Die Könige, die die von Gott zugrundgelegte Weltordnung stören, werden nun als „Richter der Erde“ angesprochen, deren Auftrag die Aufrechterhaltung eben dieser Ordnung ist.
Vers 11: Die Könige der Welt sollen Gott dienen – sowohl im politischen als auch im gottesdienstlichen Sinne. Ihre Furcht und ihr Beben sollen ihre Unterwerfung anzeigen – dies ist zugleich der Anfang ihrer Einsicht (vgl. Sprichwörter 1,7). Der von ihnen verlangte Jubel ist bereits ein Bekenntnis, denn es beschreibt andernorts meistens die Freude über das Rettungshandeln Gottes und seine Gerechtigkeit (vgl. zum Beispiel Psalm 35,9). Im Endeffekt stimmen somit die Könige, stellvertretend für alle Menschen der Welt in das Gotteslob Israels ein.
Vers 12: Der von den Königen verlangte Fußkuss betont nochmals abschließend die weltliche Macht des Gesalbten Gottes, der in den letzten Worten des Psalms fast kaum von Gott zu unterscheiden ist. Die Aussage „damit er nicht zürnt“ bezieht sich zwar auf den „Sohn“, ebenso wie die Aussage „denn wenig nur und sein Zorn ist entbrannt“. Doch das Motiv des Zorns ist bereits in Vers 5, dort als göttlicher Zorn grundgelegt, der den von den feindlichen und uneinsichtigen Königen Weg beendet. Die Warnung „damit […] euer Weg sich nicht verliert“ stellt ein Echo auf Psalm 1,6 dar: „Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten, der Weg der Frevler aber verliert sich.“ Und auch die abschließende Seligpreisung bindet Psalm 2 eng zurück an Psalm 1. Die politisch-königliche Ebene wird verlassen und aufgrund der Weltherrschaft Gottes eine Konsequenz für den einzelnen Menschen, wie in Psalm 1, gezogen: „Selig alle, die bei ihm sich bergen!“ – nun aber spielt der König als im Namen Gottes Schutzbietender eine besondere Rolle.