Das Lukas-Evangelium

Lukas 1,1-4

Das Vorwort: 1,1-4

11Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat. 2Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren.

3Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben.

4So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest.

Überblick

 1. Verortung von Mk 1,1-8 im Buch:

Das Markus-Evangelium beginnt mit Johannes dem Täufer sowie der Taufe und Versuchung Jesu. Am Anfang des Matthäus-Evangelium erstreckt sich entlang der Geschichte Israels der Stammbaum Jesu. Poetisch und zugleich hochtheologisch lautet der erste Satz des Johannes-Evangeliums: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ (Johannes 1,1). Das Lukas-Evangelium hingegen beginnt nicht mit Jesus oder Johannes dem Täufer, auch nicht mit hoher Theologie, sondern es beginnt mit dem Ich des Autors. Bevor in Lukas 1,5-2,52 die Kindheitsgeschichte Jesu erzählt wird, die das Evangelium einleitet, steht das Vorwort des Autors. Bevor die Ereignisse um die Geburt Johannes des Täufers (Lukas 1,5-80) samt der Ankündigung der Geburt Jesu (Lukas 1,26-38) erzählt werden, erklärt der Autor seine Absicht. Er erklärt, warum er das Evangelium verfasst hat.

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2.      Aufbau von Mk 1,1-8

Während das Vorwort in der Einheitsübersetzung aus vier Sätzen besteht, handelt es sich gemäß dem griechischen Text nur um einen einzigen, sehr verschachtelten Satz – zugleich vielleicht der Satz mit dem besten Griechisch im gesamten Neuen Testament. Vers 1 gibt die Ausgangslage für das Verfassen des Evangeliums an („Schon viele […]“) und Vers 4 benennt das Ziel („[...] damit […]“) . Die grammatikalische Hauptaussage findet sich in Vers 3 („Nun [..]“): Der Autor hat sich entschlossen allen Berichten über Jesus kritisch nachzugehen und dementsprechend nach bestem Gewissen jemand anderem, genannt Theophilus, über die Geschehnisse zu berichten. In Vers 1 und 2 bekennt er, dass er selbst nicht der erste ist, der ein solches Unternehmen auf sich nimmt – zum Beispiel erkennt der Leser relativ schnell, dass das Markus-Evangelium dem Lukas-Evangelium zugrunde liegt. Aber anscheinend hielt der Autor es für notwendig, abermals beziehungsweise auf eine neue Art und Weise die Geschehnisse um Jesus zu erzählen. Er erzählt alles, nicht um damit Mission zu betreiben, sondern gemäß Vers 4 um einen zum Glauben Gekommenen, in seiner Entscheidung zu stärken.

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3.     Erklärung einzelner Verse

 -          Vers 1: Das Evangelium handelt „über all das, […] was sich unter uns ereignet und erfüllt hat“. Der erste Vers ist relativ unspezifisch: Jesus, sein Tod und seine Auferstehung werden nicht erwähnt. Es wird nur auf Ereignisse (griechisch: πρᾶγμα) hingewiesen, zu denen sich der Autor in direkte Beziehung setzt.  Aber diese Ereignisse haben sich nicht nur „ereignet“, sondern auch „erfüllt“. Es handelt sich also nicht um alltägliche Dinge, die im Folgenden abgehandelt werden sollen, sondern um erfüllte Verheißungen.

-          Vers 2: Die Anderen, die schon zuvor über die Geschehnisse berichtet haben, stützten sich auf die Augenzeugen und diejenige, die als „Diener des Wortes“, das Geschehene verkündet haben. Die Apostel werden hier nicht explizit genannt, sondern sie werden in ihrer Funktion beschrieben. Auch der Autor des Lukasevangelium gehört nicht selbst zu den Augenzeugen oder gar Aposteln. Er schreibt in Vers 2 deutlich zu Anfang, dass er selbst nur zurückgreifen kann auf die Berichte der anderen – im griechischen Text heißt es: „entsprechend dem, was uns überliefert wurde, von denen, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren.“

-          Vers 3: Zwar ist der Autor des Lukas-Evangeliums selbst kein Augenzeuge, aber sein Anliegen ist es zumindest, die Berichte „besser“ zu schildern. Dabei hat er zwei Anliegen: 1.) Er will der Sache auf den Grund gehen: Das verwendete Verb ist ein terminus technicus für die gewissenhafte Vorarbeit eines antiken Historiographen. 2.) Er will die Geschehnisse der Reihenfolge nach aufschreiben – dies zeigt sich bereits zu Beginn des Evangelium: Anders als im Markus-Evangelium wird im Folgenden ausführlich die Kindheitsgeschichte Jesu entfaltet, bevor das öffentliche Wirken Jesu erzählt wird.

Vers 4: Der angesprochene Theophilus (siehe Auslegung), soll durch die Schrift im Glauben gestärkt werden. Mit dem Evangelium soll kein Glaube geweckt, sondern Sicherheit im Glauben gewährt werden. Es geht nicht um Verkündigung, sondern um das Fundament des Glaubens. Es geht um gefestigte Einsicht. Der Autor weist sich somit selbst als Historiker und

Auslegung

Das Evangelium nach Lukas stammt nicht von einem Augenzeugen. Zugleich spricht der Autor im ersten Vers aber direkt davon, dass sich das im Folgenden berichtete „unter uns“ ereignet hat. Es handelt sich um ein Evangelium und damit um eine theologische Schrift, aber die ersten Verse klingen fast ganz untheologisch, fast profan.

 

o   „Unter uns“: In Vers 2 wird deutlich, dass der Autor selbst auf die Berichte der Apostel angewiesen ist. Auch die kirchliche Tradition erkennt in Lukas jemanden, der seine Informationen nur aus dritter Hand besitzt. So vermutet zum Beispiel Irenäus von Lyon (ca. 135-200 n.Chr.), dass es sich um den Arzt handelt, der Paulus begleitet hat (siehe Kolosser 4,14). Da jedoch die typischen paulinischen Themen im Lukas-Evangelium fehlen, ist diese Annahme unwahrscheinlich. Man erfährt im Evangelium nichts nähere über den Autor. Ebenso erfährt der Leser nicht viel über den Adressaten des Evangeliums. Er heiß Theophilus, was mit Gottlieb übersetzt werden kann. Die Nennung eines Adressaten für ein Werk beziehungsweise eine Widmung war in der Antike üblich (siehe Kon-Texte). Von besonderer Bedeutung ist nicht, wer der Autor und der Adressat des Evangeliums sind. Sondern, dass das im Evangelium „unter uns“ geschehen und sich erfüllt hat. Der erste Satz kommt unscheinbar daher, aber macht eine Welt verändernde Aussage. Das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu, was im folgenden Bericht wird, ist von Bedeutung für die aktuelle, spätere Generation. Es ist nicht nur einfach berichtete Vergangenheit, sondern Ausgangspunkt für die Geschichte bis zur Gegenwart. Aus diesem Grund hat Lukas dem Evangelium auch die Apostelgeschichte folgen lassen. Es geht um chronologische Distanz bei gleichzeitiger persönlicher Nähe

o   Sprache: Im Vorwort wird Jesus Christus mit keinem Wort erwähnt. Auch die Apostel werden nicht explizit genannt. Es wird bewusst theologische Sprache vermieden. Das Vorwort gibt sich damit bewusst distanziert und kritisch, wobei zwei Ebenen der Kommunikation verwendet werden. Zum Beispiel hat die Bezeichnung „Diener des Wortes“ zwei Bedeutungsebenen. Buchstäblich beschreibt sie einen Beauftragten oder Adjutanten der erzählten Geschichte, kurzum jemanden, der die Geschehnisse erzählt. So bezeichnet sich zum Beispiel der jüdische Historiker Flavius Josephus (ca. 37-100 n.Chr.) selbst als „Diener des Wortes“. Zugleich verweist der Begriff „Wort“ (griechisch: λόγος), auf das Wort Gottes – der Ausdruck mit dem im Lukas-Evangelium die Verkündigung Jesu bezeichnet wird (siehe Lukas 5,1). So verweist die Bezeichnung „Diener des Wortes“ auf die Apostel und die von ihnen tradierten geschichtlichen Geschehnisse als auch auf ihren theologischen Inhalt.

 

Das Lukas-Evangelium stellt bereits im ersten Satz eine Besonderheit innerhalb der vier Evangelien dar. Hier tritt das Ich des Verfassers in den Vordergrund. Er stellt sich der Tradition gegenüber, überprüft sie und gibt sie aus seiner Perspektive weiter.

Kunst etc.

Lukas und die Madonna
Lukas und die Madonna

Auch wenn der Verfasser des Lukas-Evangeliums nicht bekannt ist, wurde er vielfach in der Kunst dargestellt; wie hier im Altarbild „Lukas und die Madonna“ von Hermen Rode (1430-1504 n.Chr.). Das Bild zeigt eine Besonderheit des Evangeliums an: Im Lukas-Evangelium findet sich eine ausführliche Kindheitsgeschichte Jesu, in der die Ankündigung sowie die Geburt Johannes des Täufers und Jesu parallelisiert sind und auf die besondere Bedeutung Mariens als Mutter Jesu verwiesen wird (siehe das Magnificat in Lukas 1,46-55). Zudem findet sich im Bild das Kalb als Symboltier für Lukas. In der kirchlichen Tradition werden die vier Evangelien den Gesichtern der vier Wesen, die in der unmittelbaren Gegenwart Gottes beheimatet sind, zugeschrieben (siehe Ezechiel 1,10). Nach Hieronymus ist Lukas der Stier beziehungsweise das Kalb:  „die dritte (Gestalt) eines Kalbs (deutet hin auf jene), die der Evangelist Lukas vom Priester Zacharias zu Beginn verwenden lässt“. Damit verweist er auf die vom Evangelisten in Lukas 1 betonte Herkunft Johannes des Täufers aus einer priesterlichen Familie: Johannes der Täufer als Priester und Prophet, der auf Jesus als neuen König hinweist.

 

Hier könnten Quellenangaben im Footer stehen www.erzbistum-koeln.de