Das Buch Jona

Jona 4,5-9: Lehrstück zwischen Freude und Todeswunsch

5 Da verließ Jona die Stadt und setzte sich östlich vor der Stadt nieder. Er machte sich dort ein Laubdach und setzte sich in seinen Schatten, um abzuwarten, was mit der Stadt geschah.

6 Da ließ Gott, der HERR, einen Rizinusstrauch über Jona emporwachsen, der seinem Kopf Schatten geben und seinen Ärger vertreiben sollte. Jona freute sich sehr über den Rizinusstrauch.

7 Als aber am nächsten Tag die Morgenröte heraufzog, schickte Gott einen Wurm, der den Rizinusstrauch annagte, sodass er verdorrte.

8 Und als die Sonne aufging, schickte Gott einen heißen Ostwind. Die Sonne stach Jona auf den Kopf, sodass er fast ohnmächtig wurde.

Da wünschte er zu sterben und sagte:

Es ist besser für mich zu sterben als zu leben.

9 Gott aber sagte zu Jona:

Ist es recht von dir, wegen des Rizinusstrauches zornig zu sein?

Er antwortete:

Ja, es ist recht, dass ich zornig bin und mir den Tod wünsche.

Überblick

Hat Jona recht in seinem Zorn gegen Gott? Die Antwort auf diese Frage entscheidet sich an einer Rizinusstaude.

 

1. Verortung im Buch

Wie ihm von Gott aufgetragen, war Jona nach Ninive gegangen, ja hineingegangen, um die Gerichtsworte zu verkünden (Jona 3,3b-4a). Demgegenüber steht nun sein Verlassen der Stadt, dass ihn noch tiefer in seinen Zorn gegen Gott hineinführt. Die vorherige Szene endete in Gottes Frage: „Ist es recht von dir, zornig zu sein?“ (Vers 4) Und diese Frage wiederholt Gott leicht abgewandelt in Vers 9. Nun jedoch leicht abgewandelt nachdem er Jona eine Lektion gelehrt hat, die dieser aber nicht bereit ist zu lernen. Nun aber antwortet er Gott: Er bleibt zornig und wiederholt seinen Todeswunsch. Als Gott den Fisch dazu „bestimmt“ hatte Jona zu verschlingen, kehrte der Prophet um zu Gott. Nun jedoch , da Gott über den Rizinusstrauch, den Wurm und den Ostwind „bestimmt“, dass sie seine Werkzeuge sind, um Jona zur Verständnis zu leiten, gewinnt Jona keine Einsicht.

 

2. Aufbau

Gottes Handeln für und gegen Jona in den Versen 6-8 ist ein Dreischritt, der bestimmt ist durch das dreifache Handeln Gottes - wörtlich: „Und JHWH-Gott bestimmte einen Rizinus …. und der Gott bestimmte einen Wurm …. Und Gott bestimmte einen scharfen Ostwind.“ In dieser Handlungsfolge fällt besonders auf, dass Gott auf drei verschiedene Arten genannt wird: JHWH-Gott, der Gott und Gott. Darin verbirgt sich wahrscheinlich eine theologische Verdeutlichung des Erzählers, die die Bedeutung dieser erzählten Gleichnishandlung unterstreicht. Die Nennung des Gottesnamens in direkter Verbindung mit der Gottesbezeichnung, JHWH-Gott, ist selten im Alten Testament – jedoch prominent im zweiten Schöpfungsbericht zu lesen (Gen 2,4-3,24). Sie bedeutet in der polytheistischen Umwelt des Alten Testament eine dem Ein-Gott-Glauben verpflichtete Zuspitzung: JHWH, der Gott Israels, ist Gott schlechthin; er ist der (!) eine Gott und nur er ist Gott. Dieser Gedanke könnte auch in den Versen 6-8 zu finden sein, um die theologische Dramatik zu unterstreichen, wenn Jona sich vollends abwendet von dem Gott, den er zuvor selbst als „den Gott des Himmels, der das Meer und das Festland gemacht hat“, beschrieben hat (Jona 1,9).

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 5: Das Herausgehen Jonas aus Ninive wird gemeinhin als eine nachholende Erzählung gedeutet: Jona sei bereits nachdem er das Gerichtswort verkündet hatte (Jona 3,4) aus der Stadt gegangen – wodurch auch das Gespräch zwischen Gott und Jona in den Versen 1-4 außerhalb Ninives verortet wird. Doch eine solche Leseweise steht in der Gefahr der am Ende von Vers 4 stehenden Aussage ihre eigentliche Spitze zu nehmen. Jona wartet blickt nicht einfach auf die Stadt und wartet, was passieren möge. Sondern er will unbedingt etwas anderes „sehen“, als das was Gott „gesehen“ und ihn zu seiner Reue geführt hat. Er erwartet immer noch das Gericht Gottes gegen Ninive („bis dass er sähe“) und um es zu sehen, entfernt er sich nun von der Stadt. Er geht gar nach Osten, obwohl Jerusalem und der Tempel Gottes, wohin er zurückkehren wollte (siehe Jona 2), oder besser sollte, doch in der entgegengesetzten Richtung liegt. In seinem Handeln zeigt sich sozusagen eine Hoffnung, dass das in Jona 3,10 festgestellte Handeln Gottes nicht endgültig ist, dass die Verschonung Ninives, wie es dann der Prophet Nahum nahelegt, doch nicht Gottes letztes Wort sein kann und darf. Doch im Buch Jona geht es nicht um Ninive, sondern Jonas und des Lesers Einsicht in das Wesen Gottes. Der Verweis auf den Schatte, den Jona sich durch den Bau der Hütte verschafft, um vor der glühenden Sonne verschont zu sein, deutet bereits auf das menschenfreundliche Handeln Gottes hin. Der Begriff „Schatten“ wird im Alten Testament sehr häufig im übertragenen Sinn verwendet: „Wer im Schutz des Höchsten wohnt, der ruht im Schatten des Allmächtigen.“ (Psalm 91,1).

Vers 6: Der Rizinus ist eine 3-5 Meter hohe Staude. Sie überragt die Hütte Jona und gewährt ihm somit mehr Schatten. Er soll ihm, so Gottes Wunsch, sozusagen einen kühlen Kopf bereiten und ihm, wie es hier wörtlich heißt: „von seiner Bosheit befreien“. Und Jona „große Bosheit“ (Vers 1) über Gotte Handeln wandelt sich in „große Freude“ – doch als Objekt der Freude wird nicht Gott genannt. Um den Schatten der Rizinusstaude hatte Jona nicht gebeten. Er ist eine geschenkte Gnade.

Vers 7: Die große Staude vergeht auf Geheiß Gottes durch einen kleinen Wurm (siehe auch Exodus 16.20).

Vers 8: Nicht nur nimmt Gott dem Jona die Schatten spendenden Rizinusstaude, sondern lässt auch noch den warmen Ostwind gegen Jona peitschen. Eigentlich ist das Aufgehen der Sonne ein Heilssignal im Alten Testament, doch nun – wie der große Wind in Jona 2 – ist es der Zeitpunkt des göttlichen Strafens, für das der Ostwind häufiger steht (siehe zum Beispiel Exodus 10,13 und Jesaja 27,8). Mit dem Wurm und dem Ostwind richtet Gott einen doppelten Angriff gegen Jona. Er ist der Sonne schutzlos ausgeliefert. Und dies verstärkt nur noch seinen Todeswunsch.

Vers 9: Gott wiederholt seine Frage aus Vers 4 – nun jedoch bezoge auf das Schicksal der Rizinusstaude, anhand der er Jona eine Lektion erteilen will. Jona hingegen antwortet nicht wirklich auf die Frage: Seine Worte sind keine Hinwendung zu Gott, keine Anrufung, sondern ein Ausruf – den man auch als Selbstvergewisserung lesen kann. Er will den Tod, weil dies das Ende der Beziehung zu diesem Gott bedeutet, dessen Handeln er nicht versteht.

Auslegung

Es ist ein böses Spiel, das Gott mit Jona treibt. Er führt ihn aus dessen Bosheit zu einer großen Freude, die er ihm durch die Rizinusstaude schenkt. Und sogleich nimmt er ihm nicht nur den Grund zur Freude, sondern bestraft ihn doppelt. Ein unbarmherziges Verhalten, das sich innerhalb eines Tages entfaltet. Gott handelt scheinbar unbegreiflich, ja er ist unberechenbar. Jonas Zorn war zuvor über das Mitleid Gottes mit Ninive nach der Umkehr der Stadtbewohner entbrannt. Nun treibt ihn sein Zorn aus Selbstmitleid noch weiter in den Todeswunsch. Doch Gottes Handeln ist pädagogisch. Gottes Fragen ist ernst gemeint: Ist es recht von dir, zornig zu sein?  Anhand der Gleichnishandlung, anhand der Rizinusstaude führt Gott dem Jona und dem Leser das Dilemma des Propheten Zorns vor Augen. Der ihm von Gott geschenkte Schatten war kein Verdienst, sondern freie Gnade Gottes. Wenn Jona nun eingestehen würde, dass er über das Verdorren der Rizinusstaude nicht erzürnen dürfte, dann müsste er auch anerkennen, dass Gott frei in seinem Handeln gegenüber Ninive ist. Wenn er jedoch bejaht, dass sein Zorn berechtigt ist, dann beansprucht er für sich dauerhaft Gottes Freundlichkeit, obwohl er sie Ninive abspricht. Die Rizinusstaude ist ein Lehrstück über die Freiheit und Liebe Gottes. Doch für Jona ist es nur noch ein Grund mehr, sich den Tod zu wünschen, um sich von einem solchen Gott zu verabschieden. Für den einen ist die Freiheit und Liebe Gottes reine Willkür, die seiner subjektiven Wahrnehmung von Gerechtigkeit widerspricht.

Kunst etc.

Auf Sarkophagen aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. findet man römische Darstellungen Jonas, wie er nackt in einer Kürbislaube steht. Die Pflanze, die Gott erwachsen lässt, sodass sie Jona schatten spendet, ist wohl die Rizinusstaude, doch die verschiedenen antiken Übersetzungen waren sich da nicht einig. Im Griechischen wurde daraus ein Efeu und im Lateinischen ein Kürbisgewächs. In diesen Darstellungen ist die von ihm gebaute Hütte sozusagen überwachsen, damit sie noch mehr Schatten spendet. Der mit „Hütte“ übersetzte hebräische Begriff meint einen vorübergehenden Unterstand aus Zweigen, Gestrüpp und Laub – zum Beispiel wie in dieser Illustration aus der „Read'n Grow Picture Bible“. Diese naiv wirkende Darstellung zeigt plastisch Jona Trauer über den Verlust der Rizinusstaude, die für längere Dauer größeren Schatten verheißen ließ. Der niederknieende Jona ist in einer klagenden und bittenden Gebetshaltung dargestellt – doch eigentlich bricht Jona nun sämtlichen Kontakt zu Gott ab.

Read'n Grow Picture Bible Illustrations (Biblical illustrations by Jim Padgett, courtesy of Sweet Publishing, Ft. Worth, TX, and Gospel Light, Ventura, CA. Copyright 1984.), under new license, CC-BY-SA 3.0
Read'n Grow Picture Bible Illustrations (Biblical illustrations by Jim Padgett, courtesy of Sweet Publishing, Ft. Worth, TX, and Gospel Light, Ventura, CA. Copyright 1984.), under new license, CC-BY-SA 3.0