Das Buch Jona

Jona 2,1-11: Kehrtwende im Gebet

21Der HERR aber schickte einen großen Fisch, dass er Jona verschlinge. Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches.

2Da betete Jona zum HERRN, seinem Gott, aus dem Inneren des Fisches heraus.

3In meiner Not rief ich zum HERRN / und er erhörte mich. Aus dem Leib der Unterwelt schrie ich um Hilfe / und du hörtest meine Stimme.

4Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das Herz der Meere; / mich umschlossen die Fluten,all deine Wellen und Wogen / schlugen über mir zusammen. 5Ich sagte: Ich bin verstoßen / aus deiner Nähe. Wie kann ich jemals wiedersehen / deinen heiligen Tempel? 6Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, / die Urflut umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf. 7Bis zu den Wurzeln der Berge bin ich hinabgestiegen in das Land, / dessen Riegel hinter mir geschlossen waren auf ewig.

Doch du holtest mich lebendig aus dem Grab herauf, / HERR, mein Gott.

8Als meine Seele in mir verzagte, / gedachte ich des HERRN und mein Gebet drang zu dir, / zu deinem heiligen Tempel.

9Die nichtige Götzen verehren, / verlassen den, der ihnen Gutes tut.

10Ich aber will dir opfern / und laut dein Lob verkünden.Was ich gelobt habe, will ich erfüllen.

Vom HERRN kommt die Rettung.

11Da befahl der HERR dem Fisch und dieser spie den Jona an Land.

Überblick

Plötzlich wirkt Jona schizophren. Eben noch stirbt er lieber als sich Gott zuzuwenden und im nächsten Moment betet er zu ihm, „seinem Gott“.

 

1. Verortung im Buch

Jona, der vor seinem Gott flieht und bisher kein Wort zu ihm gesprochen hat, sagt plötzlich: „In meiner Not rief ich zum HERRN und er erhörte mich. Aus dem Leib der Unterwelt schrie ich um Hilfe und du hörtest meine Stimme.“ Inmitten der Seenot hatte ihn der Kapitän des Schiffes aufgefordert: „Steh auf, ruf deinen Gott an“ (Jona 1,6) – doch er schwieg und stattdessen beteten die Seeleute zum Gott Jonas. Jona versuchte stattdessen seine Flucht vor Gott zu vollenden. Dreifach wurde zuvor betont, dass Jona „hinabstieg“, um sich von Gott zu entfernen: nach Jafo, auf das Schiff und in das unterste Deck (Jona 1,3-5). Nun im Bauch des großen Fisches bekennt Jona, dass er bis zum Todesreich „hinabgestiegen“ ist, doch Gott hat ihn wieder hinauf zum Leben geführt (Jona 2,7). So gelangt er zuerst zu dem Bekenntnis „JHWH (ist) mein Gott“ und zu der theologischen Überzeugung „Von JHWH kommt die Rettung“ (Vers 9). Plötzlich ist Jona fromm und vorbildlich geworden – doch im Angesicht der Reue Ninives und der Umkehr Gottes von seinem Zorn wird Jona an eben diesem Glauben, dass sein Gott ein rettender Gott ist, verzweifeln (Jona 4,2).

 

2. Aufbau

Gott spricht kein Wort zu Jona, sondern handelt wieder, wie der erzählende Rahmen verdeutlicht. Beauftragt von Gott verschlingt der Fisch Jona und speit ihn am Festland wieder aus (Verse 1 und 11). Im Bauch des Fisches geschieht die Kehrtwende Jonas: „Da betete Jona zum HERRN, seinem Gott, aus dem Inneren des Fisches heraus.“ (Vers 2). Die einleitende Bemerkung, dass Jona zu „seinem Gott“ betete, führt zu dem Bekenntnis in Vers 7b: „JHWH (ist) mein Gott“. Es ist grundgelegt in der Gewissheit, dass Gott das Gebet des Flehenden erhört (Verse 3 und 8). Diese umrahmt die in den Versen 4-7a gegebene Notschilderung. Und am Schluss des Psalms, in den Versen 9-10, wird aus dem sich widersetzenden Jona ein Lehrer und Künder der Treue Gottes.

Innerhalb des Psalms sind zwei Wortwiederholungen besonders bemerkenswert, die für dessen Aussage wichtig sind. Innerhalb der Notschilderung betont Jona in Vers 4 und 6, dass er von den Wassern „umschlossen war“. Und seine Hoffnung ist gemäß den Versen 5 und 8 nicht nur auf Gott, sondern örtlich auf dessen Tempel ausgerichtet 

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 1: Direkt zu Beginn wird die souveräne Verfügungsgewalt Gottes betont. Er schickt nicht nur einfach den großen Fisch, sondern „bestimmt“ (מנה) ihn zu dieser Aufgabe. Gott verfügt somit nicht nur über die Naturgewalten, wie den Wind (Jona 1,4), sondern auch über seine Geschöpfe (vergleiche Genesis 1,21). Dass der große Fisch den Jona „verschlingt“ deutet großes Unheil an. Das hier verwendet Verb (בלע) ist in den Psalmen ein Ausdruck für größte Gefahr oder steht gar für die Vernichtung. Doch aus dem gefährlichen Tier wird stattdessen sozusagen ein Transportmittel. Zum genannten Zeitraum „drei Tage und drei Nächte“ siehe die Rubrik „Kontext“.

Vers 2: Die erzählerische Einführung des Gebets charakterisiert den folgenden Psalm scheinbar als Klageflehen (פלל). Es folgt jedoch ein vor allem auf den Dank fokussiertes Gebet, wie bereits der folgende Vers verdeutlicht. Vers 2 erwähnt somit das ergangene Bittgebet, auf das ab Vers 2 im Dank zurückgeschaut wird.

Vers 3: Bereits am Anfang des Psalms wird der dialogische Charakter deutlich: „rufen“ – „antworten“. Hinzukommt noch eine dritte Dimension: Jona betet über und zu Gott. Er betet also so, als ob er im Bauch des Fisches Zuhörer hätte. So richtet er sich sowohl an die Leser und zugleich beginnt er mit schon den erst in Vers 9 angekündigte Lobpreis auf Gott. Der Beginn des Psalms im Hebräischen ist beachtenswert; grammatisch ungewöhnlich heißt es am Anfang wörtlich: „Aus einer Bedrängnis für mich rief ich…“. Dadurch wird die Betonung auf Jonas spezifische Not im Angesicht Gottes gelenkt. Er reflektiert hier jedoch nicht, warum er in diese Notlage geraten ist. Dass er den Bauch des großen Fisches als „Leib der Unterwelt“ bezeichnet, zeigt eigentlich an, dass er dort angekommen ist, wohin er fliehen wollte: ein Ort, der gemäß Teilen des Alten Testaments das Totenreich ist (שְׁאוֹל, gesprochen: sheol), wo kein Kontakt zu Gott mehr besteht (Psalm 6,6: „Denn im Tod gibt es kein Gedenken an dich [,Gott]. Wer wird dich in der Totenwelt preisen?“). Doch für Jona ist dieser Ort zum Ort des Hilfeschreis geworden, den Gott erhört.

Verse 4-5:  Seine eigene Schuld gesteht Jona nicht ein. Aber er weiß, dass im Endeffekt zwar die Seeleute ihn auf sein Geheiß ins Meer geworfen hatten, dass dies jedoch durch Gott verursacht war. In der selbstverursachten Not – weil er vor Gott geflohen war – ruft er nun also an der Grenze zum Tod Gott um Hilfe. Diese Kehrtwende wird auch textlich deutlich gemacht: „ich aber rief“. Nicht betont er seine Flucht, sondern Gottes Handeln gegen ihn: Gemäß Jona 1,3 war er weg vom Angesicht JHWHs geflohen – nun sagt er, er sei verstoßen (oder man könnte auch übersetzen: „ich bin vertrieben“). Der, der vor Gott geflohen war, sehnt sich nun nach dessen Tempel als Heilsort. Was für eine Kehrtwende! – wobei nicht klar ist, wie die Äußerung über den Tempel zu verstehen ist. In der antiken, griechischen Übersetzung schließt Vers 5 mit einer skeptischen Frage: ob? In der antiken Revision des Theodotion wurde daraus völlige Verzweiflung: wie? Während der hebräische Text eher eine trotzige und umso überraschende Aussage nahelegt: „doch ich werde wieder erblicken deinen heiligen Tempel“.

Vers 6: Wie in Vers 4 beschreibt die Wasser-Metaphorik passend die Situation Jonas, nachdem er ins Meer geschmissen worden war. Doch die verwendeten Bilder weisen darüber hinaus. Der Begriff „Urflut“ (תְּהוֹם, gesprochen: tehom) beschreibt wie in Genesis 1,2 die alles Leben bedrohenden Chaoswasser – eine mythische Macht. Während in der Schöpfungsgeschichte die Urflut und somit ihre Macht begrenzt wurde, umschlossen sie Jona – drohten ihn zu töten. Das Wasser stand ihm nicht nur sprichwörtlich bis zur Kehle. Das hebräische Wort, das hier mit „Kehle“ (נֶפֶשׁ, gesprochen: nefesch) übersetzt ist, hat aber ein noch weiteres Bedeutungsspektrum. Es bedeutet nicht nur das mit dem Atmen verbundene Körperorgan, sondern das, was heute oft als Seele bezeichnet wird und das Leben allgemein. Das Schilfgras, dass sich um den Kopf Jonas schlang, ist ein drastisches Bild, das an eine Wasserleiche denken lässt – doch die Wortwahl verweist auf etwas anderes. Schilf verweist im Alten Testament auf das Schilfmeerwunder, als Israel trockenen Fußes durch das Meer gehen konnte, das dann den Pharao und seine Soldaten unter sich begrub (Exodus 14). Verortet sich Jona somit in Anspielung an dieses Ereignis in seiner Not auf der Seite der Ägypter?

Vers 7: Nun erstmals deutet Jona an, dass er durch seine Handlung das Unheil über sich gebracht hat. Er ist hinabgestiegen zu den „Wurzeln der Berge“. Gemeint sind damit in der Sprache des Alten Testaments die Grundfesten der Erde (siehe Sirach 16,19). Dort wird ein „Land“ verortet, das ein Land ohne Wiederkehr sei – die neue Heimat war die Unterwelt. Sie wurde auch als eine Stadt mit verschlossenen Toren vorgestellt (vgl. Jesaja 38,10). Doch aus dem endgültigen Tod hat Gott den Jona befreit. Warum? Die Antwort auf diese Frage hat bereits Vers 3 gegeben und Vers 8 entfaltet sie.

Vers 8: Jona hat sich zu seinem Gott bekannt: JHWH (ist) mein Gott (Vers 7). Zu diesem Bekenntnis gelangt er, indem er sich Gott wieder zuwendet. „Gedenken“ ist kein reines Erinnern, sondern bedeutet ein aktives Handeln. Er wendet sich von seiner – sinnlosen – Flucht ab, weil er versteht, dass er zwischen dem Tod und Gott wählen muss. Und er wählt das Leben, indem er zum Leben schöpfenden Gott (siehe Jona 1,9) ruft. Er weiß, wie er in Vers 10 bekennen wird, dass Gott ein „beweglicher“ Gott ist, der von seinem Zorn umkehrt, wenn die betroffene Person sich Gott zuwendet: Es ist die Erfahrung des Exodus, die lehrt, dass Gott den Hilferuf seiner Gläubigen erhört. In dieser Gewissheit muss nicht einmal – nochmals – erwähnt werden, dass Gott den Hilferuf erhört. Im Tempel ist Gott als in der Welt anwesend gedacht und von dort herrscht er über die gesamte Welt. Ein kleines Wortspiel am Ende des Verses verdeutlicht Jonas Umkehr. Seine Flucht war durch das Wort “kommen” (בוא) gesprägt: Er versuchte nach Tarschisch zu ent-kommen (Jona 1,3). Nun aber gelangt/kommt sein Gebet aus dem Bauch des Fisches zurück bis in den Tempel seines Gottes.

Vers 9: Nun wird Jona gar zum Lehrer seiner Mitmenschen, indem er einen Weisheitsspruch verkündet, den ihn seine bisherige Flucht gelehrt hat. Allein in Gott ist Heil – wer sich nichtigen Wahngebilden (z.B. Götzen) hingibt, verliert die das Leben ermöglichende Treue, Güte und Huld Gottes, die durch das hebräische Wort חֶסֶד (gesprochen: chesed) ausgedrückt werden (siehe auch Jona 4,2). Der Weisheitsspruch zielt auf Israeliten, die sich wie Jona von ihrem Gott abwenden. Und diese Wahrheit wird radikal dadurch unterstrichen, dass im vorherigen Kapitel selbst Nicht-Israeliten sich zu diesem Gott bekehrt hatten.

Vers 10: Aus Jona ist ein Verkünder Gottes geworden – und er gelobt dies und verspricht eine Dankopferfeier am Tempel. Nun gleicht er in seiner Intention den Matrosen auf dem Schiff, die ebenso Gelübde ablegten und Opfer darbrachten (vergleiche Jona 1,16). Der Schlusspunkt des Psalms ist das Bekenntnis und das letzte Wort ist der Gottesname: Rettung/Hilfe ist Gottes – das heißt: Der Rettungswille Gottes ist immer ein Hoffnungsanker.        

Vers 11: Gott antwortet nicht auf Jonas Psalm, doch er spricht, indem er gebietet. Der letzte Teilvers kann auf zwei unterschiedliche Weisen übersetzt werden: „und er [der große Fisch] den Jona auf das Trockene ausspie“ oder „und er [Gott] den Jona ausspeien ließ“. Klar ist jedoch, dass das Verb, das passend auch ekelerregend mit „kotzen“ übersetzt werden kann, in gewisser Weise einen würdelosen Umgang mit Jona zum Ausdruck bringt. Jona ist sozusagen das Erbrochene des Fisches. Und Jona gelangt so zurück auf das trockene Festland, das zuvor im Seesturm allein durch menschliche Handlung nicht erreichbar war (Jona 1,13). Nur der Gott, der von Jona zuvor als „Gott des Himmels, der das Meer und das Festland gemacht hat“ bekannt gemacht worden war (Jona 1,9), bringt ihn wieder zurück, eben ans Festland.

Auslegung

Die Worte Jonas sind fromm und vorbildlich. Doch im Kontext des Buches wirken sie deplatziert. Derjenige, der eben noch vor seinem Gott geflohen ist, wird am Ende des Buches doch an ihm verzweifeln. Nun plötzlich lobpreist er seinen eigenen Verfolger. Jona, der eben noch freiwillig in den Tod gehen wollte, ruft nun Gott um Hilfe. Und in alledem gibt es von ihm kein Wort der Reue und kein Eingeständnis der eigenen Schuld. Der Leser bekommt den eigentlichen Hilferuf Jonas nur in Vers 2 erzählt und alles Folgende sind bereits Dankesworte – man begegnet nur dem Jona, den Gott erhört hat und der sich seiner Rettung gewiss ist. Ohne Zweifel lehrt die Todesangst das Beten. Die Worte – in diesem Fall das Bekenntnis zu Gott als dem Retter – muss sich in der Glaubenspraxis bewahrheiten. 

In Vers 10 verspricht er, zum Tempel zu gehen, dort Gottes Herrlichkeit zu verkünden und ein Dankopfer darzubringen. Jona wird dies nicht tun, sondern am Ende des Buches sagt er zu Gott: „Ja, es ist recht, dass ich zornig bin und mir den Tod wünsche.“  (Jona 4,9) Das Gottesbild, das er in seinem Psalm entfaltet, lässt ihn verzweifeln. Er glaubt an einen Gott, der sich denen zuwendet, die zu ihm rufen und sich zu ihm bekennen – scheinbar ohne göttliche Vorbedingungen. Gott ist nicht nachtragend und will Beziehung. Selbst der Zorn Gottes dient diesem größeren Ziel – denn das Gebet Jonas verdeutlicht, dass Gott selbst dort, wo er das Leben bedroht und zu vernichten scheint, doch zugleich die letztgültige Hoffnung ist. 

Kunst etc.

Der holländische Maler Pieter Lastman hat in seinem 1621 entstandenen Gemälde verdeutlicht, dass Gott zwar Jonas Gebet erhört hat und er gerettet wird. Aber der ungelenk fliegende Jona, der von dem großen Fisch ausgespien wird, zeigt an, dass Jona nun auf seine Ausgangssituation zurückgeworfen ist: Mit Ekel kotzt der Fisch, der treue Diener Gottes, ihn den widerspenstigen Propheten zurück ans Land.

„Jonah and the Whale“, Pieter Lastman; ausgestellt im Kunstpalast in Düsseldorf (Inv. no. M 193) – Lizenz: gemeinfrei
„Jonah and the Whale“, Pieter Lastman; ausgestellt im Kunstpalast in Düsseldorf (Inv. no. M 193) – Lizenz: gemeinfrei