Seeleute, die keine Israeliten sind, beten zum Gott Jonas, bringen ihm Dankopfer und bekennen sich zu ihm, während Jona in ihrer Mitte sich den Tod wünscht.
1. Verortung im Buch
Jona flieht vor Gott, „weg von JHWH“, wie es am Ende von Vers 3 steht. Doch Gott lässt ihn nicht entkommen und das wird direkt durch die ersten Worte der neuen Szene deutlich: „JHWH aber“. Gott bestimmt die Handlung – auch wenn weder er noch Jona nun in den Versen 4-16 in den Fokus der Erzählung rücken. Die Seeleute auf dem Schiff, auf dem sich Jona befindet, werden zum Kontrastbild zum sich verweigernden Propheten. In Vers 5 schreit ein jeder von ihnen mitten im Sturm zu seinem jeweiligen Nationalgott. In den Versen 14-16 dann bekennen sie sich zu dem Gott, vor dem Jona flieht. Aus den Hilfeschreien zu ihren Göttern ist das Gebet zu JHWH geworden. Jona hingegen verweigert den Kontakt zu Gott und sucht den Tod. Doch selbst im sicher geglaubten Tod wird Gott nicht von ihm ablassen, bis Jona selbst eingesteht, was die Seeleute schon vor ihm verstanden hatten: „Vom HERRN kommt die Rettung.“ (Jona 2,10).
2. Aufbau
Die Erzählung entfaltet sich entlang von zwei Leitwörtern. Am Anfang „wirft“ (הֵטִיל, gesprochen: hetiel) Gott einen Wind auf das Meer und bringt das Schiff somit in Gefahr (Vers 4). Die Seeleute versuchen sich zu retten, indem sie die Ladung ins Meer werfen (Vers 5). Die entscheidende Wendung folgt dann aber erst in Jonas Aufforderung, er solle ins Meer geworfen werden (Vers 12). Erst als die Seeleute dies tun, Jona ins Meer werfen, sind sie gerettet (Vers 15). Parallel zu dieser Handlungskette wird aus der Angst und Furcht der Seeleute Gottesfurcht – sie werden zu JHWH-Fürchtigen. Anfangs “fürchten“ (יָרֵא, gesprochen: jare) sie sich und schreien zu ihren Göttern (Vers 5). Als Jona, von dem sie wissen, dass sie seinetwegen in Gefahr sind, bekennt, dass er JHWH verehrt, das heißt ihn fürchtet (Vers 9), geraten die Seeleute in große Furcht (Vers 10) – ihre Angst steigert sich also sogar noch im Vergleich zum Anfang. Und am Ende, als sie gerettet sind, werden sie selbst zu JHWH-Fürchtigen (Vers 16). Der Text endet nicht mit Jona, sondern mit den Seeleuten, die Gott fürchten, ihm Opfer darbringen und Gelübde ablegen. Das, was Jona nur in leeren Worten in Vers 9 bekannt hatte, bekennen die Seeleute am Ende durch ihre Taten. Sie sind das gottgefällig-handelnde Kontrastbild zum passiven Propheten. So steht das Bekenntnis Jonas im Zentrum dieser Erzählung – aber Jona und die Seeleute ziehen daraus unterschiedliche Schlüsse.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 4: Diesmal wendet sich Gott nicht mit Worten an Jona, sondern schleudert einen „großen Wind“ auf das Meer. Der Wind wird zum Seesturm – zu hohem Seegang und aufgepeitschten Wogen. Der Sturm (סַעַר, gesprochen: sa‘ar) ist im Alten Testament häufig eine Metapher für das göttliche Gericht (zum Beispiel Jeremia 23,19). Die Gefahr für das Schiff wird auf eine besondere Art ausgedrückt; wörtlich übersetzt steht hier: „das Schiff rechnete damit auseinanderzubrechen“.
Vers 5: Auf dem Schiff sind Seeleute aus verschiedenen Völkern anwesend und jeder von ihnen ruft in seiner Angst zu seinem Nationalgott. Sie hängen ihre Hoffnung nicht nur an ihre Religion, sondern auch an ihr praktisches Wissen. So wie Gott den Wind ins Meer geschleuderte hatte, so reagieren sie darauf, in dem sie Ladung ins Meer schleudern, um das Schiff zu erleichtern. Der dramatischen Szene steht das Verhalten Jonas kontrastreich gegenüber. Weder betet er, noch hilft er, sondern er setzt seinen „Abstieg“ (siehe Jona 1,1-3) fort und vergräbt sich sozusagen tief im Schiffsladeraum. Er bleibt völlig passiv, ja fast apathisch. „Niederlegen“ und „schlafen“ sind auch im Alten Testament geläufige Umschreibungen für „sterben“ (vergleiche auch 1 Könige 19,5).
Vers 6: Der Kapitän konfrontiert Jona, der sich mitten im Sturm allem zu entziehen versucht. Seine Aufforderung „ruf deinen Gott an“, bleibt unerhört. Jona antwortet nicht einmal. Jona bleibt hier und bis zum Ende dieses Abschnittes stumm gegenüber Gott – in Vers 14 werden dann die Seeleute den Gott Jonas in ihrer Not anrufen. Bemerkenswert ist, dass hier der Kapitän seine Hoffnung an den Gott Jonas ausrichtet, während Jona in seiner Abwendung von JHWH verharrt. Und seine Hoffnung hängt an einem ohnmächtigen „vielleicht“, das zugleich Ausdruck für die Souveränität und Unverfügbarkeit Gottes ist (siehe auch Amos 5,15 und Zefanja 2,3). Die Begründung seiner Worte, „sodass wir nicht untergehen“, wird im Buch Jona noch eine besondere Bedeutung haben. Sie werden auch vom König Ninives in Jona 3,9 gesprochen werden.
Vers 7: Wie in alttestamentlicher Zeit das Los geworfen wurde, ist weitgehend unbekannt (siehe aber 1 Samuel 14,38-42). Die Bedeutung ist jedoch klar: Es handelt sich um einen Gottesentscheid. Dadurch wird die Verantwortung Jonas sichtbar gemacht.
Vers 8: Im Zentrum der Fragen der Seeleute steht nicht Jonas Schuld, sondern seine Identität. Anstatt direkt ein rettendes Urteil zu fällen, gehen sie auf Jona zu, bzw. suchen die Identität seines Gottes. In dem in der revidierten Einheitsübersetzung mit „Gewerbe“ wiedergegebenen Wort, verbirgt sich ein doppeldeutiger Ausdruck, der zum Kern des Problems vorstößt. Es geht nicht um seinen erlernten Beruf, sondern der hebräische Begriff מְלָאכָה (gesprochen: melacha) bedeutet allumfassend „Arbeit“ und zugleich den Dienst am Heiligtum. Aus der Leserperspektive fragen die Seeleute somit den sich verweigernden Propheten nach seiner Sendung. Sie fragen ihn insgesamt nach seiner „theologischen Heimat“.
Vers 9: Jonas Antwort auf die Fragen der Seeleute ist ein Bekenntnis, das in seinem Mund doch leer klingt. Doch für sie wird es zur Heilsverkündigung. Die Bezeichnung „Hebräer” für einen Israeliten wird im Alten Testament häufig in Aussagen von Ausländern oder gegenüber Nicht-Israeliten verwendet. Besonders häufig begegnet sie im Buch Exodus, der Geschichte der Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten. Wörtlich bekennt sich Jona nach dieser ethnologischen Zuordnung zu seinem Gott. Wörtlich sagt er: „Ich fürchte JHWH“. „Fürchten“ bedeutet Gottes Willen zum eigenen Handlungsmotiv zu machen. In Jonas Worten ist dies eher eine leere Floskel. Er verehrt Gott nicht, sondern seine Furcht ist eine Angst vor ihm, die für ihn zu einer Flucht wurde. In seinem Bekenntnis stellt er den vielen Göttern der Seeleute den einen allmächtigen Schöpfergott entgegen. Als „Gott des Himmels“ wird zum Beispiel im Buch Esra der Gott des mächtigen, persischen Großreiches bezeichnet (Esra 6,9-10). Dass Gott sowohl das Meer, das häufig als ein Symbol der Chaosmächte verwendet wird, als auch das Trockene – also den für den Menschen Leben ermöglichende Erdboden – geschaffen hat, verdeutlicht, dass er der Gott ist, der über Leben und Tod entscheidet.
Verse 10-11: Das Bekenntnis Jonas im Kontext des Seesturms wird für die Seeleute zum Ausgangspunkt einer neuen Gottesfurcht, der Ehrfurcht vor dem gegen Jona handelnden Gottes. Sie ersuchen nun von Jona sozusagen ein prophetisches Wort, um das Unheil abzuwenden, während der Sturm sowie ihre Furcht anwachsen.
Vers 12: Statt seinen Gott anzurufen, um Vergebung zu bitten, und so die Seeleute und das Schiff zu retten, fordert er die Seeleute auf, den aus seiner Sicht letztmöglichen Schritt zu gehen – zu dem er sich selbst in seiner fatalen Sicht nicht durchgerungen hatte. Er zieht den Tod einer Umkehr zu Gott vor, und bittet die Seeleute sozusagen um ihre Hilfe. Der Tod bedeutet das endgültige Nein zu Gott.
Vers 13: Die Seeleute handeln unerwartet. Eigentlich hat Jona ihnen den Weg zur Rettung genannt. Sie versuchen erneut – gegen den Gott, der das Meer und das Trockene erschaffen hat – zum sicheren Festland, dem Trockenen, zu gelangen. Sie versuchen sich und Jona zu retten, und erfragen dadurch sozusagen einen zweiten Gottesentscheid. Die Ausweglosigkeit ihres Versuches wird in der Wortwahl des Erzählers deutlich. Sie ruderten nicht nur, sondern sie versuchten durch den Seesturm „durchzubrechen”.
Vers 14: Der Kapitän hatte Jona dazu aufgerufen, zu seinem Gott zu rufen, an seiner Statt tun dies nun die Seeleute. Und der ironische Unterton des Autors zeigt sich darin, dass ihre Worte tief in der jüdischen Tradition verwurzelt sind. Die Rede vom „unschuldigen Blut“ findet sich ebenso in Deuteronomium 21,8 und Jeremia 26,15. Nach dem Losentscheid, der zweifelsfrei festgestellt hat, dass Jona schuldig ist, sprechen die Seeleute ihn nun nicht frei, wenn sie von „unschuldigem Blut“ sprechen, sondern erbeten für sich, dass ihre Tat nicht als Blutschuld angerechnet werde. Es sei kein „ungerecht vergossenes Blut“, wenn sie die Aufforderung Jonas befolgen. Und sie beschließen ihre Bitte mit der Anerkenntnis der Freiheit und Souveränität Gottes und seines Handelns – wie sie aus den Psalmen auch bekannt ist: „Alles, was dem HERRN gefällt, vollbringt er, im Himmel und auf Erden, in den Meeren und in allen Tiefen.“ (Psalm 135,6). So bekennen sie sich zu dem, was Jona nur folgenlos in Vers 9 bekennt.
Vers 15: Die Seeleute handeln genauso, wie es ihnen Jona gesagt hat. Dadurch, dass der Sturm zu einem Ende kommt, erweist sich diese Tat als Wille Gottes.
Vers 16: Dass die Seeleute sich nicht nur aus Angst zu Gott bekennen, sondern nun dauerhaft den Gott Israels ehrfüchtig fürchten, zeigt sich in der letzten Aussage. Die genannten Gelübde deuten auf eine dauerhafte Vertrauensbindung, wie man an Psalm 61,9 erkennen kann: „Dann will ich allzeit deinem Namen singen und spielen und Tag für Tag meine Gelübde erfüllen.“ Etwas deplatziert wirkt das zuvor genannte Dankopfer, das ein Brandopfer eines Tieres ist.