Zwist und Kompromissbereitschaft

Gedanken zur Pfingsten

fotografiert von Gerd Altmann. Lizenz: Pixabay.
fotografiert von Gerd Altmann. Lizenz: Pixabay.

Pfingsten – das ist eine Erfolgsgeschichte! Das Kommen des Heiligen Geistes erfüllt das ganze Haus, indem sich die die Apostel aufhalten. Hinter verschlossener Tür weht ein heftiger Sturm, lautes Brausen ist zu hören. Der Heilige Geist lässt sich auf jeden Einzelnen im Haus nieder und sie sind individuell in der Gabe des Heiligen Geistes vereint – und die verschlossenen Türen öffnen sich der Welt, die neugierig eintritt. Die Predigt der Apostel ist begeistert: „… alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ (Apostelgeschichte 2,4) - und „an diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft dreitausend Menschen hinzugefügt“ (Apostelgeschichte 2,41). Was für eine Erfolgsgeschichte! Was für ein Wachstum! – und das war erst der Anfang auf dem Weg zur Weltreligion.

Da wirkt die steigende Zahl an Kirchenaustritten in Deutschland wie ein Kontrastbild – da ist wenig Begeisterung; da ist oft nur noch wenig Gemeinschaft. Ganz anders klingt da die Beschreibung der Urgemeinde direkt nach der Erzählung des Pfingstereignisses: „Alle wurden von Furcht ergriffen; und durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen. Und alle, die glaubten, waren an demselben Ort und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Lauterkeit des Herzens. Sie lobten Gott und fanden Gunst beim ganzen Volk. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten“ (Apostelgeschichte 2,43-47). Der Evangelist Lukas, der auch der Autor der Apostelgeschichte ist, beschreibt hier einen Idealzustand, den sich heute – egal ob er Realität war oder Fiktion ist – jede Gemeinde als Spiegel gegenüberhalten kann. Doch er weiß auch, dass das Ideal bereits am Anfang schnell zerbrochen ist und dass aus dem Verharren ein Zukunftsweg des Wandels wurde.

Der erste Skandal

Für die christliche Urgemeinde galt nach dem Verfasser der Apostelgeschichte: Keiner beanspruchte, dass etwas von seinem Vermögen der Person nur „privat“ (als Gegensatz zu „gemeinsam“: griechisch κοινός, gesprochen koinos), also sich selbst nur zur eigenen Verfügung gegeben sei. Der Besitz galt als ein der Gemeinschaft dienendes Gut. Was dies bedeutet, wird in der Apostelgeschichte am Beispiel des Ehepaars, Hananias und Saphira, erzählt (Apostelgeschichte 5,1-11). Als Gemeindemitglieder stand es ihnen frei, über ihren Besitz zu verfügen. Aber sie mussten sich für ihr Handeln nicht nur vor der Gemeinde, sondern vor Gott rechtfertigen. In der Beschreibung der Urgemeinde heißt es: „Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.“ (Apostelgeschichte 4,34-35). Ob diese Aussage eine spätere Idealisierung der Urgemeinde oder eine geübte Praxis darstellt, lässt sich aus dem Text heraus nicht erschließen. Die Erzählung über das Ehepaar verdeutlicht jedoch, dass es nicht darum geht, dass Gemeindemitglieder ihren gesamten Besitz verkaufen. Sondern es wurde als Ideal angesehen, dass, falls es nötig war, ein Teil des Besitzes zu verkaufen, um der Gemeinde zu helfen. „Ein Mann namens Hananias aber und seine Frau Saphira verkauften zusammen ein Grundstück und mit Einverständnis seiner Frau behielt er etwas von dem Erlös für sich. Er brachte nur einen Teil und legte ihn den Aposteln zu Füßen“ (Apostelgeschichte 5,1-2). Der griechische Text spricht hier deutlich nicht vom gesamten Besitz, sondern von „einem Besitztum“ (κτῆμα, gesprochen ktêma). Den Erlös von dem Verkauf übergibt das Ehepaar nicht vollständig der Gemeinde, sondern hält einen Teil des Geldes für sich selbst zurück. Ob es der Großteil des Erlöses oder nur ein kleiner Teil war, sagt der Text nicht. Es geht um die Unterschlagung als Handlung gegen die Gemeinschaft und damit gegen Gott: „Da sagte Petrus: Hananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du den Heiligen Geist belügst und von dem Erlös des Grundstücks etwas für dich behältst? Hätte es nicht dein Eigentum bleiben können und konntest du nicht auch nach dem Verkauf frei über den Erlös verfügen? Warum hast du in deinem Herzen beschlossen, so etwas zu tun? Du hast nicht Menschen belogen, sondern Gott“ (Apostelgeschichte 5,3-4). Petrus verdeutlicht in seiner Reaktion auf die Tat des Ehepaares, dass das Leben der Glaubenden in Gemeinschaft ehrliche Freiheit und ehrliche Freiwilligkeit voraussetzt. In den Worten wird deutlich, dass das Privateigentum nicht aufgehoben ist durch die Urgemeinde. Sondern jedes Gemeindemitglied ist selbst verantwortlich für den richtigen Umgang mit seinem Besitz, um der Gemeinde zu dienen. Das Grundstück hätte im Besitz des Ehepaares bleiben können und auch den Erlös hätten sie für sich behalten können. Aber sie täuschen den Besitzverzicht nur vor und unterschlagen einen Teil des Erlöses. Der Grund für die folgende Strafe, den plötzlichen Tod sowohl des Ehemannes wie auch später der Ehefrau, liegt nicht im Reichtum, auch nicht darin, dass sie sich selbst bereichert haben. Sie sterben, weil sie um des Reichtums willen, gelogen haben – der erste große Skandal der noch jungen Urgemeinde.

Diesem ersten Sündenfall der entstehenden Kirche folgten noch viele Streitigkeiten, die den Weg der Urgemeinde begleiteten und schon früh ein erstes, sogenanntes „Apostelkonzil“ nötig werden ließen, damit die Einheit aufrechterhalten werden konnte. Der Heilige Geist ließ die Urgemeinde nicht lange in ihren eigenen Grenzen verharren.

Neue Wege

Entscheidend für die Entstehung des Christentums und seine Ausbreitung war die Gemeinde in Antiochia: „In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen“ (Apostelgeschichte 11,26). Hier wurde Jesus Christus nicht mehr nur den Juden verkündet, sondern auch den Nicht-Juden – eine entscheidende, aber mit Streitigkeit verbundene Wegmarke.

Vom Heiligen Geist auserwählt werden die jüdischen Christen Paulus und Barnabas von der Gemeinde in Antiochien zu eine Missionsreise ausgesendet. In Apostelgeschichte 14 wird auf dramatische Weise erzählt, wie sich ihre Verkündigung nun zu den sogenannten Heiden als Adressaten zuwendet. Umso mehr Nicht-Juden sich zum Christentum bekannten und sich die Gemeinschaft der Gläubigen dadurch änderte, umso mehr kam es zu Spannungen: „Es kamen einige Leute von Judäa herab [nach Antiochia] und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden“ (Apostelgeschichte 15,1). Es entsteht Zwist und Streit – nicht nur in Antiochia, sondern auch in der Urgemeinde in Jerusalem. Paulus und Barnabas gehen nach Jerusalem, um mit den Aposteln zu klären, ob die Beschneidung gemäß dem alttestamentlichen Gesetz für Heiden, die sich zum Christentum bekehren, verpflichtend ist; „da erhoben sich einige aus der Partei der Phariäser, die gläubig geworden waren, und sagte: Man muss sie beschneiden und von ihnen fordern, am Gesetz des Mose festzuhalten“ (Apostelgeschichte 15,5). Dass der Heilige Geist nicht zwischen Juden und Nicht-Juden unterscheidet ist für die Urgemeinde keine Frage – das hat sich ihnen in der Geschichte offenbart. Doch welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, das war offengeblieben. Darüber entscheidet nun nicht der Heilige Geist, sondern die Meinung des Apostels Jakobus. Er legt seine Argumente dar und schlägt einen Kompromiss vor: „Darum halte ich es für richtig, den Heiden, die sich zu Gott bekehren, keine Lasten aufzubürden; man weise sie nur an, Verunreinigung durch Götzenopferfleisch und Unzucht zu meiden und weder Ersticktes noch Blut zu essen“ (Apostelgeschichte 15,19-21). Diese vier Klauseln sind ein Mittelweg. Der Verzicht auf Götzenopfer, Ersticktes, Blut und Unzucht findet sich als Forderung an Israeliten und Fremde auch im Buch Levitikus (siehe Levitikus 17-18); doch es gibt noch viele weitere Gesetze, die auf für Fremde unter der Herrschaft Israels gelten sollen. Jakobus definiert hier eine Minimalforderung, die es ermöglichen soll, dass die nach dem alttestamentlichen Gesetz lebenden Judenchristen mit Heidenchristen eine Tischgemeinschaft bilden können, ohne sich rituell zu verunreinigen (vgl. Galater 2,11-21). Jakobus zeigt eine maximale Kompromissbereitschaft, der sich in der Darstellung der Apostelgeschichte die gesamte Urgemeinde Jerusalems anschließt. In der Findung des Kompromisses ist, gemäß der Erzählung der Heilige Geist nicht direkt beteiligt. Aber nach der einstimmigen Entscheidung heißt es: „Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden“ (Apostelgeschichte 15,28-29). Scheinbar verhärtete Fronten haben sich aufgelöst und im gemeinsamen Kompromiss wird das Handeln des Heiligen Geistes erkannt.

Von Pfingsten bis heute

Weder die christliche Urgemeinde noch die heutige Kirche sind ideale Vorbilder für eine Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu. Streitigkeit und Zwist gehören seit dem Anfang des Christentums zu dessen Geschichte – alles andere wäre auch sehr wunderlich. Und durch alle Konflikte hindurch wirkt doch der Heilige Geist. Er schützt jedoch nicht vor menschlichen Wirrungen und befreit auch nicht davon, auf dem Weg des Glaubens Kompromisse zu finden, die Gemeinschaft ermöglichen. 

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.

Titelbild: fotografiert von Gerd Altmann. Lizenz: Pixabay.