Sklavenwerdung

Biblische Gedanken zu Weihnachten als Fest der Menschwerdung Gottes

"Jesus Christus Figur", fotografiert von Jeswin Thomas. Linzen: Pexels - gemeinfrei.
"Jesus Christus Figur", fotografiert von Jeswin Thomas. Linzen: Pexels - gemeinfrei.

Ohne besonderen Glanz erzählt der Evangelist Lukas die Geburt Jesu – ohne Engelschöre, ohne Wunder, eher ärmlich und ganz menschlich: „Es geschah, als sie [=Josef und Maria] dort [= in Betlehem] waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“ (Lukas 2,6-7). Das Neugeborene liegt wie fast jedes Kind in Windeln da, vielleicht ganz ruhig, vielleicht laut schreiend. – Und dieses Ereignis feiern Christinnen und Christen weltweit als Menschwerdung, als Fleischwerdung („incarnatio“): Der Sohn Gottes – Gott, der Sohn - wird der Sohn von Maria und seinem Adoptivvater Josef.

Das so scheinbare allweltliche Ereignis der Geburt lässt sich auf den ersten Blick nicht wirklich mit den üblichen Gottesbildern in Einklang bringen; oder wie Kurt Marti es formuliert hat:

Damals

als gott

im schrei der geburt

die gottesbilder zerschlug

und

zwischen marias schenkeln

runzelig rot

das kind lag.

Nicht weniger radikal formuliert ist die theologische Deutung im sogenannten Philipper-Hymnus (Phil 2,6-11). In diesem frühchristlichen Psalm, den Paulus in seinen Brief an die Gemeinde in Philippi aufgenommen hat, ist die Geburt des Sohnes Gottes eine Sklavenwerdung.

Hochtheologisch und poetisch zu gleich wird er, Gottes Sohn, als „Gott gleich“ gepriesen; man könnte auch sagen: Er hatte den Rang eines Gottes inne. Aber er, und so heißt es wörtlich übersetzt weiter: „sah ihn [= diesen Status] nicht als eine Entrückung an“. Er war nicht dieser Welt entzogen und klammerte sich nicht an seinen Rang, sondern – wiederum wörtlich übersetzt – „entleerte sich, den Rang der Sklaven annehmend“. Erst nachgeordnet wird die Sklavenwerdung als „den Menschen gleich“ gedeutet. Er wird nicht einfach nur ein Mensch, sondern wie ein Sklave – das bedeutet: Er entledigte sich aller Macht und unterwarf sie den Regeln und Mächten des diesseitigen Lebens. Ganz konkret: Er lebte das Leben bis zum menschlichen Tod, er wurde des Lebens Untertan (Vers 8). Doch der Autor des Philipper-Hymnus‘ zieht eine feine Unterscheidungslinie zwischen dem Menschen Jesus Christus und allen anderen Menschen. Der Sohn Gottes nahm den Sklavenstatus an, - wörtlich übersetzt – „den Menschen gleichartig werdend“. Er lebt wie ein Mensch, er existiert in Entsprechung zu allen Menschen, sozusagen als ihr Abbild. Doch ein letzter Vorbehalt bleibt: „der Erscheinung nach sich wie ein Mensch zeigend“ – er war von einem Menschen nicht zu unterscheiden, aber die entscheidende Unterscheidung ist, wie Vers 8 verdeutlicht, dass er Zeit seines Lebens Untertan des menschlichen Lebensschicksals und zugleich doch als Sohn Gottes völlig gehorsam gegenüber seinem himmlischen Vater war.

Auch am Anfang des Briefes an die Gemeinden in Rom übernimmt Paulus ein älteres, frühchristliches Bekenntnis. Er verweist auf das – wörtlich übersetzt – „Evangelium von seinem [=Gottes] Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids“, der seit der Auferstehung durch Gottes Schöpfungskraft als „Sohn Gottes in Macht“, d.h. zur rechten Gottes als Richter, eingesetzt ist. Es ist vielleicht auch möglich in Röm 1,3-4 die Aussage so zu lesen, dass Jesus Christus erst durch die Auferstehung zu Gottes Sohn – wie durch eine Adoption (vgl. Psalm 2,8). Doch dagegen spricht die Rahmung der Glaubensaussage durch die Bezeichnung als „Sohn“. Der Sohn Gottes ist nicht, wie es in der revidierten Einheitsübersetzung heißt, „dem Fleisch nach geboren als Nachkomme Davids“, sondern er ist „gekommen aus dem Samen Davids dem Fleisch nach“ (Vers 3). Kein Wort von einer Jungfrauengeburt, kein Wort von Josef aus dem Hause Davids als Adoptivvater – wird hier nun eine direkte Abstammung aus der männlichen Linie der davidischen Dynastie verkündet? 

Das im Vergleich zu den anderen Evangelien und den Paulusbriefen spät entstandene Evangelium des Johannes (ca. 90-100 n.Chr.) hat wahrscheinlich in seinem ebenso hochtheologischen und zugleich poetischen Prolog ältere Traditionen aufgenommen. „Und der Logos / das Wort ist Fleisch geworden“, heißt es dort. Wie im Philipper-Hymnus und dem Bekenntnis am Anfang des Römerbriefes wird auch hier betont, dass der Sohn Gottes aktiv in die Welt eingetreten ist. Anders als zum Beispiel in 1 Tim 3,16 ist er aber nicht nur im Fleisch erschienen, sondern vollständig zum Menschen, zu vergänglichem Fleisch geworden – und in seiner menschlichen Existenz wurde es möglich seine Herrlichkeit, d.h. zugleich auch Gewichtigkeit und Wucht, zu sehen. In seiner menschlichen Existenz wurde sein göttliches Wesen sichtbar. Was im Johannes-Prolog über die Menschwerdung ausgesagt wird, hat, Augustinus so erklärt:

„Ein äußerlich erschallendes Wort ist ein Zeichen eines inneren, verborgenen Wortes, ihm steht in erster Linie der Name ‚Wort‘ zu. Das aber, was mit dem fleischlichen Mund hervorgebracht wirst, ist der Schall des Wortes. Wenn es ‚Wort‘ genannt wird, so ist diese Bezeichnung vom übernommen, das äußerlich in Erscheinung zu treten hatte. Unser ‚Wort‘ wird nämlich körperlich Schall, indem es etwas annimmt, worin es den menschlichen Sinnen fassbar wird. So ist auch das Wort Fleisch geworden, indem es das annahm, worin es den menschlichen Sinnen fassbar wurde“ (Augustinus, De Trinitate V,11).

Es ist ein langer theologischer Denkweg vom Kind in den Windeln zur Sklavenwerdung Gottes Sohnes, zum fleischgewordenen Wort. Die Menschwerdung ist so ein theologischer Begriff, der doch nie ganz begriffen werden kann und dem man sich – nicht nur in der Weihnachtszeit – immer neu nähern muss, um das dahinterstehende Geheimnis erahnen zu können.

Eine solche Annäherungsmöglichkeit bietet ein Brückenschlag zwischen der Schöpfungserzählung am Anfang der Bibel und dem Philipper-Hymnus. In Genesis 1,27 wird erzählt, dass Gott den Menschen als sein Abbild, „als Bild Gottes erschuf“. Der hebräische Begriff צלם  (gesprochen: zäläm), der in der revidierten Einheitsübersetzung mit „Bild“ übersetzt ist, bezeichnet an anderen Stellen eine Statue im Sinne eines „Repräsentationsbildes“ – das Gott ähnlich ist, aber ihm nicht gleicht. Der Kontext dieser Aussage zeigt, dass es hier nicht um die Qualität des Menschen geht, sondern um seine Funktion: Der Mensch ist an Gottes Statt in der Welt beauftragt, die von Gott gut erschaffene Welt in Ordnung zu erhalten. Der Mensch ist der Statthalter Gottes auf Erden. Diese dem Menschen verliehene Gewalt ist eine lebensfördernde, die nicht nur Königen zusteht, sondern demokratisiert ein Auftrag an jeden Menschen darstellt. … und in der Heiligen Nacht tritt der Sohn Gottes, so könnte man Phil 2,6 auch übersetzen, als „Gleichbild der Menschen“ in die Welt. Gott hat den Menschen als sein Ebenbild erschaffen und Gott der Sohn ist menschliches Ebenbild geworden.

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.