Papst Pius XII bezeichnete das demokratische Wahlrecht als eine Pflicht für jeden Wahlberechtigen: „Wer sich dessen enthält, insbesondere aus Gleichgültigkeit oder Feigheit, begeht an sich eine schwere Sünde, lädt eine tödliche Schuld auf sich.“ Desinteresse an der eigenen Zukunft, fehlender Wille zum Gestalten der Gesellschaft und eine Frustration über politische Entscheidungsprozesse können dazu führen, dass der eigenen Stimme bei Wahlen keine Bedeutung zugemessen wird. Solche Perspektiven sind aber zutiefst egoistisch. Sie blenden nicht nur das eigene Wohl, sondern auch das Wohl der anderen Menschen völlig aus. Gleichgültigkeit ist wie ein loderndes Feuer, das alles zerfrisst, mit dem es in Berührung kommt. Im Glauben selbst gehört das Wahlrecht zum Fundament der Beziehung zu Gott. Niemand ist zur Nachfolge gezwungen: Man kann dem Willen Gottes nachkommen oder man kann sich von Gott abwenden. In jedem Fall hat die Wahl eine Folge.
Die Bibel ist nicht die Wiege der Demokratie. Die im Alten Testament bevorzugte Regierungsform ist eine Monarchie unter der Leitung Gottes – im Endeffekt eine Theokratie. Allgemein war im Alten Orient weder der Volkswille noch die Macht einzelner Personen das leitende Prinzip. Trotzdem lassen sich auch im Alten Testament demokratische Prozesse wiederfinden, die die Bedeutung der richtigen Wahl betonen.
Gottes Zorn über die Demokratie
Trotz der göttlichen Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus Ägyptens ist die folgende Zeit der Wüstenwanderung keine romantische Liebesgeschichte zwischen Gott und seinem Volk. Im Buch Numeri droht die Befreiungsgeschichte gar durch eine demokratische Abstimmung zu einem Misserfolg zu werden. Die Israeliten rebellieren gegen Mose und Aaron und beabsichtigen eine demokratische Revolution:
"Und sie sagten zueinander: Wir wollen einen neuen Anführer wählen und nach Ägypten zurückkehren." (Numeri 14,4)
Nicht jede Wahlmöglichkeit ist eine gute Option. Anstatt dem von Gott eingesetzten Führer blind zu vertrauen und zu folgen, erhebt das Volk seine Stimme und will aus seiner Mitte einen Vertreter der eigenen Interessen wählen. Moses und Aarons Reaktion ist gut demokratisch: Mit guten Argumenten versuchen sie das Volk von seinem Anliegen abzubringen; sie argumentieren für den Zug ins verheißene Land. Gottes Reaktion auf das Volk hingegen ist undemokratisch und autoritär. Er droht an, das ganze Volk auszulöschen. Demokratische Prozesse müssen sich aus der Perspektive dieser Bibelstelle am Willen Gottes ausrichten. Bemerkenswert ist, dass die Autorität hier nicht bei Mose und Aaron als Anführer liegt. Sie können das Anliegen des Volkes nicht einfach zurückweisen – dazu ist keine menschliche Macht befugt. Zugleich müssen der Gläubige und die Gläubigen jedoch die Wahl vor Gott rechtfertigen und die Folgen abwägen.
Förderung der Demokratie
Die modernen Demokratien sind indirekte Demokratien. Das Volk regiert sich nicht selbst, sondern die Wahlberechtigten geben ihre Stimme einem Repräsentanten, der in ihrem Namen und ihrem Auftrag handeln soll. Im Buch Deuteronomium verweist Mose darauf, dass auch in einer Theokratie demokratische Strukturen erlaubt sind und dem Volk das Recht auf Selbstbestimmung ermöglicht wird. Mose erinnert sich:
"Damals habe ich euch gesagt: […] Schlagt für jeden eurer Stämme weise, gebildete und wohlbekannte Männer vor, damit ich sie als eure Oberhäupter einsetze. Ihr habt mir geantwortet und gesagt: Das ist ein guter Vorschlag, den du gemacht hast. Er soll ausgeführt werden." (Deuteronomium 1,9.13-14)
Wer weise und gebildete Männer und Frauen als eigene Repräsentanten haben will, muss an ihrer Wahl partizipieren. Das Wahlrecht ist ein unausschlagbares Angebot, das dazu beiträgt, dass die Interessen des Volkes an entscheidender Stelle berücksichtigt werden. Das Wahlrecht auszuüben ist ein guter Vorschlag, der ausgeführt werden sollte.
Folgen und Chancen
Das Wahlrecht ist für mündige Bürger und Bürgerinnen eine Chance, die eigene Stimme für sich selbst und für die Gesellschaft zu erheben. Zudem liegt dem Wahlrecht auch eine Verantwortung zugrunde. Mit einer Wahl kann man nicht leichtfertig umgehen. Selig ist der Mensch, der nicht leeren Versprechen folgt und nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern sein Gewissen befragt und dementsprechend am 26. Mai mit Verantwortung für die Folgen der Wahl übernimmt.
Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wider.