„Lasst uns Schwerter zu Pflugscharen schlagen“ – so heißt die Bronzeskulptur des sowjetischen Künstlers Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch, die vor dem Hauptgebäude der Vereinten Nationen in New York steht. Im Stil des Sozialistischen Realismus zeigt sie, wie durch Manneskraft ein Schwert zu einem Pflug umgeschmiedet wird. Die Hoffnung, dass aus Waffen Leben-ermöglichende Werkzeuge werden, und die Menschheit selbst entscheiden könnte, den Krieg zu verlernen, scheitert jedoch, seitdem es Menschen gibt – und diese traurige Realität ist bereits im Buch Jesaja, auf das der Titel der Bronzeskulptur anspielt, nachzulesen.
Generell ist das Alte Testament ein ‚kriegserprobtes‘ Werk. Dröhnend daherstampfende Stiefel und in Blut gewälzte Mäntel (Jesaja 9,4) gehörten schon zur Welt der biblischen Autoren, deren Denken geschichtlich maßgebend von der Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie der Exilierung in ein fremdes Land geprägt wurden. Die Hoffnung, dass aus Schwertern Pflugscharen werden könnten, bedarf daher im Buch Jesaja – auch wenn es ernüchternd ist – ein übermenschliches, eben Gottes Handeln: „Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden / und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, / und sie erlernen nicht mehr den Krieg“, steht in Jesaja 2,4b und auch in Micha 4,3. Wann ist dieses „dann“? Erst wenn Gott das schafft, dessen die Menschen nicht fähig sind, wenn er als allmächtiger Gott über die Völker zu Gericht sitzt: „Er wird Recht schaffen zwischen den Nationen und viele Völker zurechtweisen“ (Jesaja 2,4a). Anscheinend, so die biblische Hoffnung, bedarf es der Allmacht des Gottes, der selbst ein „Kriegsmann“ (Exodus 15,3) ist: „Der HERR zieht in den Kampf wie ein Held, er entfacht seine Leidenschaft wie ein Krieger. Er erhebt den Schlachtruf und schreit, er zeigt sich als Held gegenüber den Feinden“ (Jes 42,13).
Zum Glück – so denken vielleicht einige Bibelleser und -leserinnen – findet man im Neuen Testament den liebenden Sohn dieses Gottes, der uns auffordert, unseren Feinden auch noch die andere Wange hinzuhalten, statt die Gewalt eskalieren zu lassen. Selig sind jedoch nicht die Friedfertigen, sondern diejenigen, „die Frieden schaffen“ und sich dafür aktiv einsetzen (Matthäus 5,9). Friede muss gesucht, ja ihm muss nachgejagt werden. Die Bergpredigt Jesu lässt keinen Zweifel daran, dass Christen und Christinnen dazu aufgefordert sind selbst ihre Feinde zu lieben, aber das Reich Gottes verkündend bleibt Jesus im Neuen Testament, bzw. im Lukasevangelium doch sowohl ein Idealist als auch ein Realist.
Im Garten Gethsemane verweigert Jesus die Möglichkeit, dass er mit Waffengewalt vor seinem Tod am Kreuz gerettet werde, „denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,52). In allen Evangelien stellt er sich friedenstiftend gegen Gewalt und Widerstand bei seiner Gefangennahme. Aber im Lukasevangelium geht dieser Szene ein Aufruf zu den Waffen voraus. Zu seinen Jüngern sagt er: „Jetzt aber soll der, der einen Geldbeutel hat, ihn mitnehmen und ebenso die Tasche - wer dies nicht hat, soll seinen Mantel verkaufen – und sich ein Schwert kaufen“ (Lukas 22,36). Mäntel sollen zu Schwertern werden! Die Jünger sollen sich ein Schwert kaufen, und wer das nicht mit Hilfe seines Geldbeutels kann, soll dafür seinen Mantel hergeben – mit der Passion und Auferstehung Jesu wird ein neuer Abschnitt des Verkündigungsdienstes mit neuen Notwendigkeiten des Selbstschutzes beginnen.
Man könnte nun zur Auslegung Jesu Aufforderung darauf hinweisen, dass innerhalb des lukanischen Doppelwerkes in der Apostelgeschichte niemand der Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu zum Schwert greift. Redet Jesus also hier nur im übertragenen Sinne: „Jetzt kommen schwere Zeiten“? Doch im Garten von Gethsemane stehen die Jünger bereit, um Jesus mit ihren Schwertern zu verteidigen (Lk 22,49); und direkt nachdem Jesus sie aufgefordert hatte, Schwerter zu kaufen, sagen sie zu ihm: „Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter“ (V. 38). Die Nachfolger Jesu sind gerüstet, doch derjenige, dem sie folgen, und der sie zum Schwertkauf aufgefordert hat, antwortet ihnen: „Es ist genug!“ – Und wir Leserinnen und Leser halten verwundert inne. Genug? Abrupt endet zwischen Jesus und seinen Jüngern das letzte Gespräch vor der Passion. Haben seine Jünger Jesus wieder einmal falsch verstanden? War der Verweis auf das Schwert doch nur ein Bildwort? Genug mit Eurem Unverständnis! Oder ärgert er sich darüber, dass sie den Unterschied zwischen dem Weg, den er an das Kreuz gehen muss und den sie in der Mission gehen werden, nicht verstehen? Genug, ich brauche keine Schwerter, ihr braucht sie zu eurem Schutz! - Es wäre ein Einfaches für den Autor gewesen, das Missverständnis für die Leser und Leserinnen aufzuklären. Doch er lässt uns allein mit einem Jesus, der selbst auf Gewalt verzichtet, aber seine Jünger zum Schwertkauf und damit zur gewaltsamen Selbstverteidigung aufruft.
Und so stehen wir im Jahr 2024 nach Christi, zwei Jahre nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine und fast 6 Monate nach dem Massaker durch palästinensische Terroristen in Israel und dem Beginn des Krieges in Gaza fragend da: Wie lässt sich in unserer Zeit im Sinne eines christlichen Pazifismus ‚Frieden machen‘? Sollen wir mit Jesus auf das Schwert verzichten, oder seinem Wort folgen, und zu den Schwertern greifen? Vielleicht ist die Antwort auf diese Fragen kein Entweder-Oder. Die Welt braucht Fundamentalisten des Gottesreiches, die im Hier und Jetzt auf Gewalt verzichten und Frieden stiften, doch gleichzeitig braucht es die Realisten, die sich der gewaltbesessenen Welt entgegenstellen, damit die Hoffnung, dass eines Tages Gott den Krieg zerbrechen wird (Hosea 2,2), die Menschen den Krieg verlernen werden (Jesaja 2,5) und der Sohn Gottes auf Gewalt verzichtet und die Welt dadurch erlöst hat, weiter erklingen kann.
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