Wie das Atmen gehört der Hunger zum Menschen – nicht nur das kleine Hungerfühl zwischendurch prägt das Leben auf dieser Welt, sondern der sich alle zehn Sekunden ereignende Hungertod eines Kindes unter 5 Jahre. Aufgrund von Kriegen, Klimawandel und Pandemie ist der Hunger weltweit auf dem Vormarsch. Insgesamt hungern rund 811 Millionen Menschen weltweit und 41 Millionen stehen kurz vor einer Hungersnot. "Aktuelle Erkenntnisse deuten auf Rückschläge in der Hungerbekämpfung hin und verheißen schwierige Aussichten für die Zukunft", steht im neuen Welthunger-Index 2021."Der bereits zuvor viel zu langsame Fortschritt in Richtung Zero Hunger bis 2030 stagniert oder hat gar Rückschläge zu verzeichnen."
Es ist also Zeit für ein „Brotvermehrungswunder“– obwohl es ja doch eigentlich genug täglich Brot auf der Welt gibt. Die Speisung der Fünftausend durch Jesus wird in allen vier Evangelien erzählt; und schnell lässt sich das eigentliche Geschenkwunder weg-rationalisieren, wenn man einfach denkt, dass vielleicht die Leute zum Beispiel zuvor in ihren Taschen versteckte Nahrung ausgepackt und miteinander geteilt haben. Oder vielleicht ist hier einfach an die reichen Frauen aus dem Lukas-Evangelium zu denken, die Jesus und seine Jünger finanzielle unterstützten (siehe Lukas 8,3); vielleicht waren sie auch unter den 5000 und kauften nun einfach für alle Nahrung, ohne dass der Erzähler davon berichtet. Der Rationalismus lehrt den Leser seit dem 18. Jahrhundert, dass es keines Wunders bedarf, um Menschen mit Nahrung zu versorgen. Diese Logik funktioniert aber anscheinend nur in der Wunderkritik und nicht im wahren Leben. Doch zurück zum von allen Evangelisten erzählten Brotvermehrungswunder.
In ihm ist ein Ankerpunkt für die Hoffnung aller Hungernden gegeben – aus dem Wenigen wird Überfluss. Doch daran können die Jünger Jesu, seine Nachfolger zuerst nicht glauben. Sie sagen zu ihrem Lehrer:
"Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick die Leute weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen!" (Matthäus 14,15, vgl. Markus 6,36)
Die Leute sollen sich selbst Essen kaufen, beziehungsweise selbst jemanden finden, der sie versorgt.
"Schick die Leute weg, damit sie in die umliegenden Dörfer und Gehöfte gehen, dort Unterkunft finden und etwas zu essen bekommen; denn wir sind hier an einem abgelegenen Ort." (Lukas 9,12).
Doch in den Erzählungen des Wunders nach Matthäus, Markus und Lukas ist die Aufforderung Jesu an seine Jünger eindeutig und unmissverständlich – und klingt bis heute durch die Menschheitsgeschichte.
"Gebt ihr ihnen zu essen!" (Matthäus 14,16; Markus 6,37; Lukas 9,13)
Dass dies keine Überforderung darstellt – auch heute nicht – zeigt sich in der Reaktion der Jünger, wie sie im Markus- und Lukas-Evangelium erzählt wird.
"Sollen wir weggehen, für zweihundert Denare Brot kaufen und es ihnen zu essen geben?" (Markus 6,37, vgl. Lukas 9,13).
Ja, die Jünger hätte einfach alle mit Essen versorgen können – ohne dass es eines Wunders bedurft hätte. Allein im Johannes-Evangelium wird – um das Wunder zu betonen – darauf hingewiesen, dass selbst mit 200 Denaren nicht genügend Brot für alle hätte gekauft werden können (siehe Johannes 6,7). Das Wunder Jesus ist keine Lösung gegen den Welthunger, sondern ein Zeichen, eine Lehre. Im Johannes-Evangelium ist es gar eine Probe des Glaubens (siehe Johannes 6,5-7), die der Apostel Philippus nicht besteht. Denn eigentlich ist es weder damals noch heute ein Wunder, wenn alle satt werden. Jesus verwandelt das Wenige in Überfluss – und der Mensch vermag es nicht einmal aus Überfluss Gerechtigkeit werden zu lassen. Wir leben in einer wundersamen Welt! – und dabei wäre es so einfach: Nehmt den Überfluss, dankt, teilt ihn aus und lasst alle satt werden!
Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.