Das offizielle Motto der olympischen Spiele lautet: citius, altius, fortius („Schneller, höher, starker“). Meistens fasziniert die Jagd nach Höchstleistungen die Zuschauer. Sein Bestes zu geben, das ist das Ziel eines Sportlers und diese Absicht steht auch hinter dem Motto „Dabeisein ist alles“, das nach landläufiger Meinung das inoffizielle olympische Motto sei. Als 1908 ein Streit zwischen britischen und amerikanischen Sprintern darüber entbrannte, wer den Lauf über 400-Meter gewonnen habe, soll Pierre de Coubterin gesagt haben: „Das Wichtige an den Olympischen Spielen ist nicht zu siegen, sondern daran teilzunehmen; ebenso wie es im Leben unerlässlich ist, nicht zu besiegen, sondern sein Bestes zu geben.“ Dabeisein ist eben nicht alles. Sondern es geht auch darum, sein Bestes zu geben und zu versuchen zu gewinnen. Warum wetteifern, wenn man von Anfang an nicht an einen Erfolg glaubt, sich nicht zumindest einen Erfolg erhofft? In den Worten Paulus‘:
„Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt!“ (1 Korinther 9,24)
Paulus war kein professioneller Wettkämpfer, sondern Apostel – und dieses Apostelamt verteidigt er im Ersten Brief an die Korinther. Paulus will mehrere Fragen in 1 Korinther 9 beantworten und ihre Beantwortung führt ihn zu der Aussage über die Läufer im Stadion:
„Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn?“ (1 Korinther 9,1)
Aufgeschlüsselt geht es um die Fragen, welche Autorität Paulus hat und wozu ihn diese Autorität berechtigt. Er etabliert seine Autorität als Apostel zum einen durch den Verweis auf sein Damaskus-Erlebnis, in dem Jesus ihm erschienen ist (vgl. Apostelgeschichte 9) und zum zweiten durch die Existenz der korinthischen Gemeinde, die er als Gemeinde Christi aufgebaut hat. Er führt die Existenz der Gemeinde als Ausweis seines Apostelamts an und kann somit an die Adressaten gerichtet resümieren:
„Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch. Ihr seid ja im Herrn das Siegel meines Apostelamtes.“ (1 Korinther 9,2)
Besonders umstritten war seine Autorität, weil er sich seine Aposteldienste nicht bezahlen ließ, sondern von der Arbeit seiner eigenen Hände lebte. Im damaligen Kontext war es üblich, dass Wanderprediger und Philosophen durch ein Patronat einer Gemeinschaft oder eine Schirmherrschaft sich ihre Dienste bezahlen ließen und durch die Bezahlung ihre Dienste anerkannt wurden. Paulus verweist darauf, dass er zwar auch Anspruch auf diese geldliche Anerkennung hätte, aber sein Apostelamt und sein Lohn ihm vom Himmel und nicht von der Erde zukommt. Er etabliert sein Anrecht auf den weltlichen Lohn, aber erklärt zugleich den Verzicht:
„Wenn wir für euch die Geistesgaben gesät haben, ist es dann zu viel verlangt, wenn wir von euch die irdischen Gaben ernten? Wenn andere an dem, was euch gehört, teilhaben dürfen, dann nicht wir erst recht? Aber wir haben von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr ertragen wir alles, um dem Evangelium Christi kein Hindernis in den Weg zu legen. Wisst ihr nicht, dass alle, die im Heiligtum Dienst tun, vom Heiligtum leben und dass alle, die am Altar Dienst tun, vom Altar ihren Anteil erhalten? So hat auch der Herr denen, die das Evangelium verkünden, geboten, vom Evangelium zu leben. Ich aber habe all das nicht in Anspruch genommen. Ich schreibe dies auch nicht, damit es in meinem Fall so geschieht. Lieber wollte ich sterben, als dass mir jemand diesen Ruhm entreißt.“ (1 Korinther 9,11-15)
Für die Praxis des weltlichen Lohns für Missionare verweist Paulus auf ein Jesus Wort. Jesus spricht zu den 72 Missionaren, die er im Lukasevangelium aussendet:
„Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes!“ (Lukas 10,5-7)
Im Matthäusevangelium bedeutet dies konkret:
„Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert.“ (Matthäus 10,10)
Aber selbst dieses verheißenen Lohn weist Paulus von sich, denn er versteht sein Apostelamt nicht als die Folge eines freien Entschlusses, sondern als einen Auftrag, der eine im positiven Sinne aufgezwungene Lebensaufgabe ist.
„Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, gebührt mir deswegen kein Ruhm; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde! Wäre es mein freier Entschluss, so erhielte ich Lohn. Wenn es mir aber nicht freisteht, so ist es ein Dienst, der mir anvertraut wurde. Was ist nun mein Lohn? Dass ich unentgeltlich verkünde und so das Evangelium bringe und keinen Gebrauch von meinem Anrecht aus dem Evangelium mache.“ (1 Korinther 9,16-18)
Dass Paulus keinen weltlichen Lohn für seine Verkündigung entgegennimmt, ist aus seiner Sicht – auch wenn es abstrus klingt -, sein eigentlicher Lohn. Denn ohne finanziell von jemandem abhängig zu sein, kann er sein Apostelamt frei ausüben. Dadurch, dass er keinen Lohn annimmt, gibt es keine finanziellen Hürden, die die Verbreitung des Evangeliums behindern können und er kann, somit zum Diener aller Menschen werden:
„Obwohl ich also von niemandem abhängig bin, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen.“ (1 Korinther 9,19)
Paulus ist weder ein Dienstleister noch ein Berater, sondern er versteht sich als schrankenloser Überbringer der guten Botschaft.
„Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen; denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter dem Gesetz stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen, die unter dem Gesetz stehen. Den Gesetzlosen bin ich sozusagen ein Gesetzloser geworden - nicht als ein Gesetzloser vor Gott, sondern gebunden an das Gesetz Christi - , um die Gesetzlosen zu gewinnen. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, um die Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben.“ (1 Korinther 9,20-23)
Paulus ist ein Apostel Jesu und darin besteht seine Freiheit. Er erhält seinen Lohn nicht von den Empfängern des Evangeliums, sondern erhofft sich den Lohn von seinem „Auftraggeber“.
Alle zwei Jahre trafen sich in Korinth - vergleichbar mit den Olympischen Spielen - Wettkämpfer aus dem gesamten Römischen Reich und konkurrierten in Sportarten wie Ringen, Laufen, Diskuswurf etc. Es ist denkbar, dass Paulus bei seinem Aufenthalt in Korinth im Jahre 51 n. Chr., bei den in diesem Jahr dort stattfindenden Korinthischen Spielen selbst zugegen war. Er wird als Zeltbauer ein gutes Geschäft durch die Spiele gemacht haben. Die Tausenden von Zuschauern, die aus dem gesamten Römischen Reich anreisten, wurden vor allem in Zelten untergebracht. Auf die Korinthischen Spiele verweist Paulus nun am Ende von 1 Korinther 9, um sein Argument abzuschließen und über sein Apostelamt im Speziellen und das Christsein im Allgemeinen zu reflektieren.
„Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt! Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Darum laufe ich wie einer, der nicht ziellos läuft, und kämpfe mit der Faust wie einer, der nicht in die Luft schlägt; vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen verkünde und selbst verworfen werde.“ (1 Korinther 9,24-27)
Im Zentrum des Sportbildes steht ein Imperativ, der an die korinthische Gemeinde gerichtet ist: „Lauft so, dass ihr ihn [den Siegespreis] gewinnt!“. Das von Paulus benutzte Bild kann leicht missverstanden werden: Ist das christliche Leben ein Wettkampf, den am Ende nur einer gewinnen kann? Paulus geht es in seinem Bild jedoch nicht um den Lohn, sondern es geht ihm um die Anstrengung, die zum Ziel führen soll. Paulus vergleicht sich selbst und sein Apostelamt mit den Wettläufern und den Boxern. Er irrt nicht umher, sondern läuft auf dem kürzesten und schnellsten Weg zum Ziel. Er nimmt seine Gegner in den Fokus und seine Schläge treffen. Ein Sportler bereitet sich intensiv auf den Wettkampf vor – Schweiß, Konzentration, Schmerz, Leid und Freude sind dem Willen zum Sieg untergeordnet. Verzicht ist dabei ein Werkzeug, um ein höheres Gut zu erlangen. Aber anders als im Sport geht es beim Christsein nicht nur um einen verwelkenden Siegeskranz. Mit dem Sportbild verweist Paulus auf sein eigenes Leben und betont seine Disziplin beziehungsweise eine Fokussierung auf das Ziel seines Tuns. Sein Apostelamt versteht er selbst als gelebte Predigt, verteidigt sich damit gegenüber der Kritik an seiner Person und spricht eine klare Warnung aus: Wer nicht „trainiert“, keine Disziplin hat, kann disqualifiziert werden und aus dem Rennen ausscheiden. Christsein ist kein Freifahrtschein und eine Predigt ist noch kein Siegeskranz.
Olympia ist ein großer Wettkampf, der einhergeht mit Schweiß, Konzentration, Konkurrenz, Schmerz, Leid und Freude. Bei Olympia dabei zu sein, ist der eigentliche Anfang des großen Wettkampfs, des Kräftemessens. Ein Sportler nimmt an einem Wettkampf teil, um Erfolg zu haben. Gleiches gilt nach Paulus für einen Christen: Man ist nicht einfach auf der Welt, um „dabei zu sein“, sondern um im positiven Sinne Spuren in der Welt zu hinterlassen zur Erlangung des himmlischen Siegerkranzes.
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