Der Advent ist eine Zeit der Hoffnung, selbst in scheinbar hoffnungslosen Zeiten. Denn die christliche Hoffnung stirbt nie - auch nicht zuletzt. Das heißt, Christen sind stets – nicht nur im Advent – hoffnungsvolle Menschen. Am deutlichsten wird dies in den Psalmen, dieser Schule des Hoffens. Hoffnung ist in den Psalmen kein abstraktes Prinzip und kein passives Abwarten, sondern gelebter Glaube innerhalb der gesamten Bandbreite von der Klage bis zum Lob, von der einzelnen, betenden Person bis hin zur Gemeinschaft der Glaubenden.
Paradigmatisch formuliert das betende Ich in Ps 39,8 eine Theologie des Hoffens: „Und nun, was habe ich erwartet, mein Herr? Mein Harren, es ist stets auf dich gerichtet.“ Die Hoffnung der Beter ist zielgerichtet auf Gott und den von ihnen erhofften Beistand im Leben. Was dieser Vers beispielhaft vor Augen führen, hat Walther Zimmerli in seinem bis heute lesenswerten Werk „Der Mensch und seine Hoffnung im Alten Testament“ aus dem Jahr 1968 in zwei Feststellungen zusammengefasst: (1.) „daß alles ernsthafte, für das Leben hilfreiche Hoffen auf Gott, den einzigen Gott Israels, den dieser unter dem Namen Jahwe anruft, konzentriert ist“, und (2.) dass es auffällt, „mit welch entschlossener Zuversicht von der Hilfe, die für den Glauben in Jahwe liegt, gesprochen wurde“. Die Grundstruktur des alttestamentlichen Glaubens, der sich in den Worten der Psalmen spiegelt, ist das Hoffen auf Gott. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Hoffnung auf JHWH ein wesentliches Merkmal der Gerechten, also derjenigen, die Gott fürchten und ihn suchen, ist (z.B. Ps 25,3; 31,21.25 u.ö.).
Dass selbst Gott diese Hoffnung scheinbar auch enttäuschen kann, ist den Psalmen jedoch nicht fremd. Geradezu trotzig klingt die Klage in Ps 69,4: „Ich bin erschöpft von meinem Rufen, entzündet ist meine Kehle. Ermattet sind meine Augen, da ich auf meinen Gott harre.“ Die Hoffnung auf Gott beruht auf einer glückenden Beziehung, die ihren Ausdruck in dem Glauben, dass der Mensch ruft und Gott antwortet, findet. Eine solche ‚Erfolgsgeschichte‘ erinnert der Beginn von Ps 40: „Geharrt hatte ich auf JHWH, da neigte er sich zu mir, und hörte mein Schreien“ (V. 2). Selbst in der Klage verlieren die Psalmenbeter nie die Hoffnung, dass sie an einen Gott glauben, der ihre Not sieht und ihr Rufen erhört - selbst, wenn dies eingeklagt werden muss. Selbst gegenüber einem als zornig erlebten Gott verliert das betende Ich in der Klage seine Hoffnung nicht (siehe Ps 38).
Der Anker für die in Gott begründete Hoffnung kann entweder im Leben der Betenden liegen (z.B. Ps 3,5; 40,2) oder er wird im Blick auf die Geschichte des Volkes Israel gefunden. Ludwig Köhler hat passend den Menschen als am „Herkommen“ orientiert bezeichnet, und Thomas Pola schreibt: „Der Hebräer schreitet nicht wie wir vorwärts in die Zukunft (von der man nichts sehen kann und so Angst entsteht), sondern rückwärts gewandt, in die Vergangenheit blickend“. So betrachtet ist Hoffnung auch ein überliefertes oder geteiltes Gut: „Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet. Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden“ (Psalm 25,5-6). Die Hoffnung wird menschlicherseits durch ihre Bezeugung am Leben gehalten. Welche Bedeutung die individuelle Hoffnung für die Gemeinschaft der Glaubenden haben kann, führt Ps 130 vor Augen. Das betende Ich dieses Psalms bekennt die Festigkeit seiner Hoffnung ausführlich: „Ich warte auf JHWH, mein Leben wartet, und auf sein Wort harre ich. Mein Leben wartet auf meinen Herrn, mehr als Wächter auf den Morgen, Wächter auf den Morgen“ (V. 5-6). Auf dieses Bekenntnis folgt die Aufforderung an Israel: „Harre, Israel, auf JHWH! Denn bei JHWH ist die Gnade, und viel Erlösung bei ihm“ (V. 7). Das hoffende Ich wird zum Vorbild für das Volk; das Hoffen des einen wird so zur Verkündigung für den anderen.
Oft begegnen die Psalmen im Kontext des Glaubens als Gebrauchstexte, als gesuchte Worte für das Gebet. Man stimmt ein in das Gebet des textinhärenten Psalmbeters, dessen Religiosität man begegnet. Die Psalmen sind jedoch eben nicht nur Texte, die man beten kann, sondern die ebenso gelesen werden und über sich hinausweisende Zeugnisse der Sänger, Beter und Sprecher, denen eine kerygmatische Intention innewohnt. In diesem Sinne sind Psalmen überliefertes und durch die Generationen hindurch altbewährtes Hoffen. Sie lehren in den Höhen und den Tiefen des Lebens auf Gott zu hoffen – und diese Hoffnung als Grundhaltung des Glaubens im Dialog mit Gott auf verschiedenste Arten und Weisen zu verbalisieren. Das gespannte Warten und ausdauernde Harren des Hoffens ist keine Stille (siehe auch Ps 119,147). Die Hoffnung wird eingeklagt und gepriesen, verkündet, vorgelebt und wenn nötig, im Selbstgespräch gestärkt: „Was bist du aufgelöst, meine Seele, und seufzest über mich? Harre auf Gott! Denn ich werde ihn noch für die Rettung durch sein Angesicht preisen, er ist mein Gott!'“ (Ps 42,6.12; 43,5).
Psalmenbeter und -beterinnen sind hoffende Mensch, die sich auf dem Weg von der Klage über die Selbstaufforderung zum fröhlichen, wenn auch der Bestätigung immer noch bedürfenden Bekenntnis befinden. In Ps 146,5 wird derjenige glücklich gepriesen, „wer den Gott Jakobs als Hilfe hat, wer seine Hoffnung auf JHWH, seinen Gott, setzt.“ Oder man könnte die Hoffnungslehre der Psalmen in Abwandlung dieses Psalmenverses auch folgendermaßen zusammenfassen: Das Leben des Menschen gelingt, der voller Hoffnung jetzt schon zu JHWH „mein Gott“ sagen und ihn als „mein Heil“ loben kann.
Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.
Bildquelle: "Hope", fotografiert von Matthew Walton. Lizenz: CC BY 3.0.